Sarrazin und die Menschenwürde auf der Kalorientabelle

Der Berliner Finanzsenator Sarrazin hat in einem bemerkenswerten Selbstversuch bewiesen, dass man sich mit Hartz IV „ausgewogen und gesund ernähren“ kann. Über die Plausibilität seiner Rechnung ist ebenso viel gestritten worden, wie über die Frage, ob man mit dem Einkommen eines Senators den Speiseplan eines Hartz-Geschädigten beurteilen darf. Die Einwände sind allemal richtig, aber sie gehen am Kern der Kritik vorbei. Der Finanzsenator kann vielleicht rechnen, doch mehr auch nicht. Die im Grundgesetz garantierte und als Staatsziel auch für Herrn Sarrazin verbindliche Achtung der Menschenwürde, lässt sich nicht auf der Kalorientabelle ablesen.

Sarrazins Rechnung stimmt zwar vorne und hinten nicht, weil er sich weder in den Regelsätzen, noch in der praktischen Lebensführung auskennt, doch das ist bei einem Finanzsenator vielleicht noch verständlich. Unerklärlich aber ist sein Verständnis von der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde. Erschöpft sie sich darin, dass wir die Armen nicht verhungern lassen? Die Verfassungsnorm, worin wir uns von der Armenpolitik Kaiser Wilhelms unterscheiden, garantiert den Bedürftigen ein Leben in Würde und nicht eine gewissen Kalorienmenge. Der Sozialstaat, und Herr Sarrazin wird ihn nicht in Frage stellen wollen, hat nicht das Verhungern seiner Bürger zu verhindern, sondern ihr Absinken auf das Niveau einer nahrungsbedürftigen Kreatur. Der Mensch ist schließlich kein Zootier, sondern ein gesellschaftliches Wesen, das zur Wahrung seiner gesellschaftlichen Würde mehr als grüne Gurken und Bratwürste von Aldi braucht. Sarrazin ist in dieser Hinsicht schlimmer, als die Erfinder des Warenkorbs, die den Hartz IV Empfängern täglich immerhin 53 Cent für Zeitungen und Bücher zubilligen. Das ist zwar lächerlich, verrät aber eine gewisse Einsicht in die Vielfalt menschlicher Lebensmittel, während der Blick des Finanzsenator nicht über den Tellerrand hinausreicht.

Harald Werner 19.02.08


[angelegt/ aktualisiert am  20.02.2008]