Seit zwei Monaten scheinen die Finanzminister der OECD-Staaten völlig aus dem Häuschen geraten und werfen nur noch so mit den Milliarden um sich, als hätte ihnen jemand das Vernunftzentrum gelöscht. Wurde früher um eine Milliarde monatelang gefeilscht, werden heute im Wochenrhythmus Hunderte locker gemacht. Woher kommt diese Freigiebigkeit fragen sich viele, spannender ist jedoch die Frage wer das bezahlen wird.
Die weltweite Finanzkrise ist nicht mit einer Anhäufung von Pleiten zu verwechseln, wie sie für gewöhnlich am Ende einer Hochkonjunktur auftauchen, weil zu viele Investitionen uaf zu wenig Nachfrage traffen. Was dann beginnt, hat der Ökonom Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“ bezeichnet, da die Krise nur bereinigt, was ohnehin keine Zukunft hat. Mit einer solchen Krise konnte man rechnen, nach dem kräftigen Aufschwung der letzten Jahre. Und eine solche Krise vernichtet auch Finanzkapital, nämlich jenes, das sich in aussichtslosen Unternehmen angelegt hat. Doch diesmal ist alles anders. Das Finanzkapital ist durch die radikale Umverteilung von unten nach oben und die Überschuldung einiger Volkswirtschaften in den letzten zwei Jahrzehnten so aufgebläht worden, dass es ein regelrechtes Eigenleben entwickeln konnte. Es emanzipierte sich von der wirklichen Wertschöpfung und produzierte Gewinnansprüche, die von der Realwirtschaft nicht mehr einzulösen waren. Zwar wurden auch in der letzten Krise, nach dem Platzen der Internetblase, große Mengen Geld verbrannt, nämlich überbewertete Aktien und Fondsanteile, aber der Schaden traf hauptsächlich diese Branche und das dort vagabundierende Finanzkapital. Diesmal aber fand die Explosion im Zentrum statt, bei den Banken, dem Zentralnervensystem des Kapitalismus, das für seine lebenserhaltenden Funktionen, nämlich für das Sammeln von Geld und die Vergabe von Krediten zuständig ist. Natürlich haben die Banken in den vergangenen Jahren nicht nur abenteuerliche Renditen erwirtschaftet und die Spekulation mit Vermögenswerten auf die Spitze getrieben, doch wenn Banken zusammenbrechen, ist das etwas anderes, als wenn Unternehmen pleite gehen. Ihre Pleite treibt gesunde Unternehmen in den Konkurs, vernichtet Millionen kleiner Sparguthaben und läßt den Kredit versiegen. Nur deshalb sind staatliche Rettungsmaßnahmen alternativlos. Was nicht heißt, dass es keine Alternativen zum Rettungspaket der Bundesregierung gibt.
Erstens ist es aberwitzig ein Rettungspaket zu schnüren, das nicht den Banken, sondern der Realwirtschaft nutzen soll und es dann den Banken zu überlassen, ob sie es annehmen. Schließlich geht es nicht um Geschenke, sondern um Bürgschaften, die die Kreditvergabe wieder in Gang setzen sollen. Zweitens haben die Banken eine Dienstleistungsfunktion für die Volkswirtschaft, derer sie nicht gerecht wurden, sondern gezielt für die Erwirtschaftung von Extraprofiten mißbrauchten. Also gehören sie und ihre fragwürdigen Geschäftsmodelle unter öffentliche Kontrolle. Drittens aber – und das ist die entscheidende Frage – muss darüber geredet werden, wer die Kosten dieser Rettungsaktion übernimmt. Die Verursacher sollte man meinen, dabei aber nicht nur an die Banken denken. Das Verursacherprinzip muss in erster Linie für die Profiteure dieses Kasinokapitalismus gelten, und das sind vor allem die Bezieher der gewaltigen Vermögenseinkommen. Ihnen wurden in den vergangenen Jahren erst von der rot-grünen und dann von der Großen Koalition in einem Maße die Steuern gesenkt, dass den öffentlichen Kassen Jahr für Jahr mehrere Dutzend Milliarden Euro verloren gehen. Deshalb sollte mindestens der Spitzensteuersatz wieder angehoben und die Vermögenssteuer endlich weiter kassiert werden. Allein diese beiden Maßnahmen würden die in Folge der Finanzkrise jetzt von der Bundesregierung geplanten Neuschulden überflüssig machen.
Die Phantasie muss da noch nicht aufhören, denn der staatliche Instrumentenkasten für Notsituationen ist wesentlich umfangreicher, wie man in den letzten Wochen sehen konnte, als der Milliardenstrom in wenigen Tagen in Gang gesetzt wurde. Und die Bundesregierung kann sich auch nicht mehr mit der Globalisierung herausreden, seit weltweit Konjunkturprogramme aufgelegt werden, deren Höhe vor kurzem noch niemand für möglich hielt. Kein Land kann sich heute den öknomischen Stützungsmaßnahmen für seine Volkswirtschaft entziehen und alle werden dies bezahlen müssen. Vielleicht wird auch deshalb keine Diskussion über die in den nächsten Jahren zu erwartenden Kosten der diversen Rettungsschirme geführt, weil der beim Profitmachen leer ausgegangene Teil der Bevölkerung auf die Idee kommen könnte, das Geld da einzufordern wo es gehortet wurde. Wann, wenn nicht jetzt?
Harald Werner 23 November 08