Menschliche

Politik

und menschelnde PolitikerInnen

Ein Dauerkonflikt in der rot-roten Landesregierung wurde bislang von Thilo Sarrazin produziert, dessen Menschenbild vornehmlich durch mehr oder weniger abstruse Zahlenspiele geprägt ist und dessen öffentliche Einlassungen nicht wenig dazu beigetragen haben, die Politik des Senats als reine Sparpolitik darzustellen. Der inzwischen zur Bundesbank verabschiedete Finanzsenator hatte seine eigene Methode gefunden, sein menschliches Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zu befriedigen, indem eine menschliche Politik mit abstrusen Beispielen totrechnete. So etwa mit einem im Selbstversuch getesten Speiseplan für Hartz IV Empfänger. Wobei er durchaus wusste, dass seine Auftritte ausschließlich durch die Fragilität des rot-roten Projekts an Aufmerksamkeit gewannen. Niemand hätte Thilo Sarrazin ernst genommen, wenn die SPD alleine oder sogar zusammen mit der CDU regiert hätte. Doch das Bedürfnis nach öffentlicher Aufmerksamkeit wohnt nicht nur in der Brust eines Finanzsenators, sondern ist gewissermaßen arteigen. Und nirgendwo lässt sich das leichter ausleben, als in einer rot-roten Regierung, da es ihr nicht an aufmerksamem Publikum mangelt, das mit großer Spannung auf die nächste Tabuverletzung oder gar den Abbruch des ganzen Spiels wartet. Wer hier aus dem Hintergrund ins Scheinwerferlicht rücken will, muss entweder die Verletzung grundlegender Prinzipien beklagen - womit vor allem beim linken Publikum Punkte zu machen sind - oder die verbreitete Erwartung eines Scheiterns von Rot-rot herbeireden.

Als die SPD-Abgeordnete Canan Bayram zu den Grünen wechselte, konnte sie gleich beides. Einmal ihrer Partei die Verletzung ökologischer, migrationspolitischer und frauenpolitischer Grundsätze vorwerfen - was außer in Berlin niemanden an der SPD wundern würde – und andererseits verursachte ihr Wechsel ausschließlich bundesweite Schlagzeilen durch den scheinbar nahenden Zusammenbruch von Rot-rot. Wer allerdings tiefer bohren möchte, sollte einfach mal nachfragen, welche Karrierechancen sich aus solchen Entscheidungen ergeben. Ob nun Carl Wechselberg bei der Linken ausgerechnet deshalb seine Fraktionsämter niederlegte, dürfte reine Spekulation sein, aber günstiger hätte er den Zeitpunkt nicht wählen können. Wobei sich nicht nur der Zeitpunkt als günstig erwies, sondern auch die Begründung. Endlich ein „linker Realpolitiker“ der dem „Populisten Lafontaine“ die Meinung geigt und die unbefriedigte Hoffnung nährt, dass sich die Partei an einem ihrer Vorsitzenden spaltet.

Die rot-rote Option ist nicht tot zu kriegen

Gemessen an der Aufregung, die stets um sich greift, wenn die rot-rote Option ins Gespräch gebracht wird, läuft das Berliner Modell ansonsten erstaunlich leise – und das seit bald sieben Jahren. Dabei hat es nicht an heftigen Crash-Tests gefehlt, bei denen andere Regierungen zum Totalschaden geworden wären. Jede der beiden Seiten hat der anderen Kröten zu schlucken gegeben, die auf Bundesebene regelmäßig zu Verdauungsbeschwerden führten, die das Modell aber jedes Mal überraschend gut überstanden hat. Die Gründe dafür sind relativ simpel. In Berlin gibt es zumindest gegenwärtig keine politisch tragfähige Alternative und im Bund möchte sich weder die Linke, noch die SPD von einer Option verabschieden, ohne die das bürgerliche Lager auf ewig an der Macht bliebe. Was die SPD nicht nur ungern zugibt, sondern sie auch spaltet, während sich große Teile der Linken nicht damit abfinden können, dass regieren und erst recht das Regieren mit einem stärkeren Partner, zu Kompromissen zwingt. Trotzdem sind rot-rote Koalitionen für absehbare Zeit in Deutschland das einzige parlamentarische Mittel zur Durchsetzung einer Linksverschiebung. Doch die Einzigen, die das wirklich begriffen haben, scheinen die bürgerlichen Parteien und ihre journalistischen Hilfstruppen zu sein.

Harald Werner 8.Mai 09


[angelegt/ aktualisiert am  08.05.2009]