Banale Kritik

und

radikale Formulierungen

Noch nie war in unseren Wahlprogrammen so häufig vom Kapitalismus die Rede wie beim aktuellen – aber dieser Kapitalismus war auch schon lange nicht mehr so ins Gerede gekommen, so dass man hoffen durfte, dass die Linke das Gerede auf den Punkt bringt. Stattdessen lesen wir: Der Kapitalismus hat eine Gesellschaft hervorgebracht, in der die Herrschenden Gier, Geiz, Egoismus und Verantwortungslosigkeit zu Tugenden erhoben haben.“ Das konnte man bereits vor 150 Jahren nachlesen und man kann es voraussichtlich auch noch ins nächste Wahlprogramm schreiben. Außerdem ist die Feststellung subjektivistisch, denn „Gier, Geiz, Egoismus und Verantwortungslosigkeit“ sind keine falschen Tugenden, die die Herrschenden der Gesellschaft von oben her aufdrücken, sondern sie entstehen zwangsläufig überall und bei allen, die am kapitalistischen Verwertungsprozess teilnehmen. Der Kapitalismus ist eine Normalität, an die sich die Menschen nicht nur gewöhnt haben, sondern auch selbst praktizieren, so dass auch Gier, Geiz und Egoismus normal sind.

Überhaupt wird an vielen Stellen der in der Öffentlichkeit gängige Irrtum bestätigt, dass wir die Krise einer Clique „marktradikaler Geisterfahrer“ zu verdanken haben. So auch mit dem empörten Ausruf: „Mit unserem Geld haben die Zocker im Casino ihr Unwesen getrieben.“ Mit dieser radikalen Plattheit werden die Krisenursachen nicht nur subjektiviert, sondern rutschen ins Persönliche ab. Außerdem handelte es sich dabei nicht um unser Geld, wenn damit die Linke und ihre Wähler gemeint sein sollten, sondern um das Vermögen der oberen 20 Prozent dieser Gesellschaft, das sich seine Zocker selbst geschaffen hat. Statt die Krise als das zu beschreiben was sie ist, nämlich als Ergebnis permanenter Überakkumulation, heißt es ebenso banal wie zeitlos: „Die aktuelle Krise ist die Krise einer Wirtschaftsordnung, die allein für den Profit produziert.“ Mit diesem Stehsatz wird nichts erklärt, sondern allenfalls ein Urteil gesprochen, das obendrein noch fragwürdig ist, weil natürlich vor dem Profit auch noch allerlei nützliche Dinge hergestellt und Arbeitslöhne produziert werden.

Nun könnte man einwenden, dass es nicht die Aufgabe eines Wahlprogramms ist, den Kapitalismus zu erklären. Das muss ernst genommen werden, aber nicht durch verbalradikale Vereinfachungen, viel mehr durch eine Kapitalismuskritik die nicht beschuldigt, sondern analysiert und keine Illusion darüber aufkommen lässt, dass dieses System nicht durch „Geisterfahrer“, „Neoliberale“ oder „Marktradikale“ ins Trudeln gekommen ist, sondern durch eine Produktions- und Lebensweise, die zwangsweise solche Typen hervorbringt.

 

Alle reden nur von der Krise – wir auch

Der Programmentwurf trägt die die ebenso zeit- wie anspruchslose Überschrift: „Konsequent sozial. Für Demokratie und Frieden“ und beschreibt im Folgenden was momentan alle Parteien ins Zentrum ihrer Programme stellen, nämlich die Krise. Alle Parteien präsentieren Anti-Krisenprogramme und sieht man einmal von der FDP ab, wird generell mehr Staat gefordert, eine wirksame Regulierung der Finanzmärkte und auch die Trockenlegung von Steueroasen. Dabei nehmen sich die sozialdemokratischen und grünen Alternativen über weite Strecken wie Blaupausen der Linken aus und gehen locker darüber hinweg, dass die Autoren den Sumpf selber geschaffen haben, den sie nun trockenlegen möchten. Dem Kurzzeitgedächtnis der Öffentlichkeit fällt das weder auf, noch lässt es sich daran erinnern, weshalb die Linke ein Alleinstellungsmerkmal nach dem anderen zu verlieren scheint. Sie droht an ihren eigenen Erfolgen zu scheitern, wenn sie nur mehr vom Gleichen fordert und die Rückbesinnung auf Keynes mit einem noch pointierteren Linkskeynesianismus beantwortet.

Natürlich ist es richtig, der Nachfrageschwäche mit ehrgeizigeren Investitionsprogrammen zu begegnen, als es die anderen versuchen. Und auch die Verteilungsfrage muss grundlegender beantwortet werden, als es sich die SPD traut. Aber Keynes hat nicht den Kapitalismus kritisiert, sondern lediglich seine Laissez-faire-Variante und es bestehen ernsthafte Zweifel, ob die gegenwärtige Krise nur der Abwendung von Keynes und der Hinwendung zum Neoliberalismus anzulasten ist. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass der Siegeszug des Neoliberalismus und die Wiederentdeckung der neoklassischen Ökonomie aus einer Krise der keynesianischen Politik entstanden sind. Dementsprechend wäre es wichtig gewesen, im Programmentwurf nicht nur das Scheitern des Neoliberalismus zu kritisieren, sondern das Scheitern einer Epoche, die zwar mit dem Neoliberalismus endete aber mit Keynes begonnen hat.

Deshalb hätte es dem Entwurf gut getan, den historisch einmaligen Charakter dieser Krise zu beschreiben und herauszuarbeiten, wie aussichtslos es ist, nicht nur am Marktradikalismus, sondern überhaupt am Kapitalismus festzuhalten. Wobei es keine Rolle spielt, dass diese Entscheidung weder jetzt, noch in der nächsten Legislaturperiode auf der Tagesordnung stehen wird. Es kommt darauf an, dies deutlich zu sagen, um unsere Alternativen in ein anderes Licht zu tauchen und ihre Radikalität als Ausdruck eines radikal anderen Weges zu beschreiben. Zwar sagt auch der Programmentwurf: Die gegenwärtige Krise ist keine Konjunkturkrise“, aber er wagt nicht zu sagen, um was für eine Krise es sich tatsächlich handelt, sondern verharrt in der Fortsetzung des Satzes bei einer geschichtslosen Aufzählung:  „Vieles kommt zusammen, was sich in den vergangenen Jahrzehnten hinter grenzenloser Profitsucht angestaut hatte: Kernschmelze auf den Finanzmärkten, eine tiefe globale Rezession, fortschreitende Umweltzerstörung, Klimawandel und Energiekrise sowie wachsende soziale Polarisierung.“ Aber es kommt nicht einfach vieles zusammen, was sich „hinter grenzenloser Profitsucht angestaut“ hat und es handelt sich auch nicht nur um eine Kombination verschiedener Krisen, es geht um das Ende eines kapitalistischen Entwicklungsabschnitts, der weniger als Ende des Marktradikalismus verstanden werden muss, sondern als Niedergang einer über mehr als 50 Jahre dominanten Produktions- und Lebensweise. So sagt etwa Robert P. Brenner: „Hauptsächlich dafür verantwortlich ist eine starke und anhaltende Abnahme der Renditen für Kapitalinvestitionen seit Ende der 1960er Jahre[1] und Immanuel Wallerstein[2] ist der Meinung, dass mit der gegenwärtigen Krise eine der langen Wellen des Kapitalismus zu Ende geht, an deren Ende unausweichlich ein gesellschaftlich ökonomischer Umbruch stehen wird. Wallerstein lässt offen, in welche Richtung dieser Umbruch gehen wird.

Im Programmentwurfentwurf heißt es: “Die Krise wird nicht in wenigen Monaten vorbei sein.“ Was kaum jemand bestreitet, aber alle erwecken den Eindruck, als würde die Gesellschaft danach zum Gewohnten zurückkehren. Auch im Programmentwurf der Linken geht es vor allem um eine Belebung der „Binnenkonjunktur mit höheren Löhnen, höheren Sozialleistungen und öffentlichen Investitionen“ und um einen Sozialstaat, der mehr an die Vergangenheit erinnert, als dass er ein Stück Zukunft vorwegnimmt. Der entscheiden Unterschied bei der linken Wahlprogrammatik ist die Frage „in wessen Interesse, mit welchen Zielen und auf wessen Kosten“ die Krise bewältigt wird. Natürlich ist es eine entscheidende Frage, ob die gewaltigen Geldvermögen der Gewinner des neoliberalen Gesellschaftsumbaus zur Kasse gebeten werden, aber damit allein sind die Probleme nicht zu lösen. Mit Umverteilung ist es nicht getan, denn die zu erwartenden Konflikte werden sich nicht nur zwischen oben und unten abspielen, sondern die gesamte Gesellschaft durchdringen. Wie jetzt schon in der Automobilkrise zu besichtigen ist, wird die Beseitigung der Überkapazitäten und erst recht der ökologische Umbau zu gewaltigen Verteilungskämpfe zwischen den Belegschaften und Wirtschaftssektoren führen[3], aber vor allem auch zwischen dem erwerbstätigen und dem auf soziale Transfers angewiesenen Teil der Menschen. Ganz zu schweigen von den Konflikten zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden dieser Welt. Mit Sicherheit ist dies den Autoren des Entwurfs nicht unbekannt, was auch aus zahlreichen Einzelforderungen spricht. Aber diese Forderungen, wie etwa die nach Wirtschaftsdemokratie oder dem Aufbau eines großen, öffentlich geförderten Beschäfttigungssektors, wären plausibler, wenn sie als Ergebnis einer plausibleren Krisenanalyse gelesen werden könnten.     

Natürlich darf ein Wahlprogramm keine historische Debatte führen oder gar den Übergang zum Sozialismus in Aussicht stellen, doch man darf sich wünschen, dass die Autoren die aktuelle Debatte der intellektuellen Linken berücksichtigen und erkennen lassen, dass es nicht nur um eine Alternative zum Neoliberalismus geht und auch nicht um eine Rückkehr zum Rheinischen Kapitalismus. Nicht umsonst fragen zur Zeit viele kritische Autoren die gewerkschaftliche und politische Linke, „was sie jenseits von linkskeynesianistischem Konsumismus und spät-fordistischer 70er Jahre Romantik programmatisch zu bieten hat.[4] Und Christian Geyer schreibt in der FAZ, eher wohl befriedigt als besorgt: „Die Linke ist gerade dabei, eine historische Chance zu vertun.“[5]

 

Die historische Chance der Linken

Die Linke muss, wenn sie nicht von ihren systemimmanenten Mitbewerbern überrollt werden will, weit über die konkrete Sozial- und Wirtschaftskritik hinausgehen und dies mit einer tiefgreifenden Kulturkritik untermauern. Und um nicht falsch verstanden zu werden: Mit Kultur sind hier weniger das Bildungssystem und die schönen Künste gemeint, sondern der Aberglauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes, das alle gesellschaftliche Aktiviäten dominierende Kostendenken, die zunehmende Verwandlung von Mensch und Natur in bloße Tauschwerte und nicht zuletzt das Festhalten an einem Wachstumsmodell, das jeden wirtschaftlichen Fortschritt mit einem Verlust an Humanität und ökologischer Nachhaltigkeit erkauft. Wobei dies alles bekannte Tatsachen sind, die der Öffentlichkeit nicht erst vorgestellt werden müssen, aber sie werden nicht als Gebrechen des Kapitalismus begriffen, sondern als seine Übertreibungen. Man wählt aber keine sozialistische Partei, weil sie die allseits bekannten und von allen Parteien mehr oder weniger zugegebenen Übel noch schärfer zeichnet als die anderen. Für noch viel mehr als heute wäre sie wählbar, wenn sie bei ihrer Kapitalismuskritik weit über den Rahmen der Ökonomie- und Verteilungspolitik hinausginge und einen Systemwechsel der gesamten Produktions- und Lebensweise propagierte. Eine Utopie, die ursprünglich bei den Grünen angesiedelt war, aber von ihnen genauso verraten wurde, wie die Sozialdemokratie ihren Bezug zur sozialen Gerechtigkeit verraten hat.

Harald Werner 19. Mai 09

 

 

 

 

 


[1] Robert P. Brenner, Leiter des Zentrums für Gesellschaftstheorie und   vergleichende Geschichte an der University of California, in: Sozialismus, Heft 3/2009, S.5

[2] Immanuel Wallerstein, em. Professor für Soziologie, Yale University, Die große Depression, Blätter für deutsche und internationale Politik, 11`08, S.5

[3] Welchem Spagat insbesondere die Gewerkschaften dabei ausgesetzt sind, beschreibt Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5`09, S.71f.

[4] Albert Scharenberg, Die Lähmung der Linken, Blätter für deutsche und internationale Politik, 4´09, S. 5

[5] Christian Geyer, Nullwachstum – Rot stellt sich tot: Wie die Linke ihre Chance vertut., FAZ 8.04.09, S.29


[angelegt/ aktualisiert am  19.05.2009]