Wenn die Politik auf den Strich geht,

kommt die Demokratie auf den Hund

Die Finanzierung staatstragender Parteien durch Bank- und Industriekonzerne hat in der BRD eine lange Tradition, was sich schon in ihrer Wiege offenbarte. Bereits der staatsmonopolistische Kapitalismus, dieses vergessene Urgestein der sozialen Marktwirtschaft, legte das Fundament für eine politische Elite, die sich in erster Linie als Dienstklasse des Kapitals verstand. Dann schaltete Helmut Kohl mit seiner geistig moralischen Wende den Turbo ein, den schließlich Gerhard Schröder so sehr auf Touren brachte, dass Deutschland nicht nur zum Exportweltmeister, sondern auch zum Mekka von Finanzhaien, Heuschrecken und manch anderem Ungeziefer werden konnte. Wie soll so etwas spurlos an der Moral des Politischen vorbeigehen? Niemand bleibt ungeschoren, wenn er alles unternimmt, um unmoralischen Plünderungs- und Bereicherungspraktiken die Tür zu öffnen. Und man hatte es ja so einfach, weil es ja keinesfalls um Ausplünderung und Bereicherung ging, sondern um die Durchsetzung betriebswirtschaftlichen Denkens, um Kostendenken und Rentabilität. Auf dem Marsch zum nationalen Wettbewerbsstaat wurde alles in den Boden getreten, was sich nicht rechnete und was sich rechnete, war zwangsläufig gut. Was der Staat nicht mehr finanzieren konnte, mussten Sponsoren übernehmen, warum also nicht auch die Politik den Sponsoren ausliefern.

Was jetzt zu Tage tritt, wie etwa das Mieten von Landesherren, oder das Sponsoring der FDP, die als Gegenleistung für großzügige Spenden aus der Hotelbranche deren Mehrwertsteuersätze senkte, darf dementsprechend nicht als Abweichung, sondern muss als Normalisierung gewertet werden. Als Anpassung der Politik an die gesellschaftlichen Gepflogenheit, jegliche Leistung in eine Ware zu verwandeln. Dass dies auch für die einstmals so basisdemokratischen Grünen gilt, darf übrigens auch nicht wundern. Ihre Finanz- und Wirtschaftspolitiker standen schon immer so nahe bei der FDP, dass man sich wundern muss, weshalb die Liberalen überhaupt Geld brauchten, um die Grünen für Jamaika einzukaufen.

 

Zivilgesellschaft mit beschränkter Haftung

Ohne, dass die meisten mit dem Begriff Zivilgesellschaft viel anfangen können, erfreut er sich interessanterweise gerade seit dem Beginn der neoliberalen Modernisierung steigender Beliebtheit. Zweifellos hängt dies damit zusammen, dass man den Staat nicht einfach abschaffen kann, ohne neben dem Markt ein anderes Regulierungsinstrument zu etablieren. Und das war nun die Zivilgesellschaft, deren Anrufung umso lauter wurde, je mehr staatliche Aufgaben privatisiert, dereguliert und der Staat selbst auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit reduziert wurde. Bei Linken hieß dies dann progressive Entstaatlichung. Dass der Staat noch in Maßen demokratisch beeinflussbar war, während sich in der flexiblen Zivilgesellschaft vor allem das private Eigeninteresse durchsetzt, wurde dabei geflissentlich übersehen.

Die Mehrung des privaten Nutzens ergriff dementsprechend mehr und mehr alle Bereiche, die früher einmal, nicht immer effizient, aber nach Gesetz und unter Beachtung eines gewissen sozialen Ausgleichs, vom Staat reguliert wurden. Ob diese Leistungen damit besser wurden ist umstritten, auf jeden Fall konnte man mit ihnen jetzt nicht nur Geld verdienen, man musste es auch. Die Bahn musste nicht nur pünktlich sein, sie musste auch an die Börse. Das Ergebnis ist nicht nur, das die Pünklichkeit nachgelassen hat, sie ist auch nicht mehr börsenreif und unter dem schicken Wagenmaterial verbirgt sich Schrott. Auch ist der Bürokratieabbau in den staatlichen Apparaten mit einem katastrophalen Kontrollverlust verbunden, unter dem schon mal, wie in Köln, ein ganzes Museum in die U-Bahn rutscht oder eine privatisierte Autobahn zur Schlaglochpiste wird. Eigentlich möchte man sich vor diesem Hintergrund die totale Privatisierung der Bundeswehr wünschen – schneller könnten wir gar nicht aus Afghanistan herauskommen.

Schlimmer hat sich die Privatisierung und progressive Entstaatlichung nur noch im Sozial- und Gesundheitsbereich ausgewirkt. Die Unterwerfung dieses Sektors unter betriebswirtschaftliches Denken und Renditeerwartungen hat weder die Kosten gesenkt, noch die Leistungen verbessert, aber einen gewaltigen Niedriglohnsektor geschaffen und gleichzeitig einen neuen Unternehmertyp hervorgebracht. Nirgendwo haben sich Zeit- und Leiharbeit so erfolgreich durchgesetzt wie im Gesundheits- und Sozialbereich. Erfolgreich in dem Sinne, dass dort plötzlich stattliche Renditen erwirtschaftet werden. Bei privatisierten Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen und sogar auf der untersten Ebene sozialen Handelns, bei der Betreuung von Obdachlosen. In Berlin konnte ein cleverer Sozialarbeiter durch die Versorgung von Obdachlosen zum Millionär aufsteigen und sich von seiner „gemeinnützigen“ GmbH nicht nur ein Monatsgehalt von über 30.000 Euro auszahlen, sondern auch noch einen noblen Wagenpark samt Maserati finanzieren lassen. Alles ganz legal, zertifiziert durch honorige Prüfunternehmen und möglich gemacht durch eine Gesetzgebung, die das Erwirtschaften von Renditen nicht nur erlaubt, sondern zum Ziel gemacht hat.

 

Götterdämmerung der Leistungsträger           

Bleibt allerdings die Frage, weshalb das erst jetzt alles ans Licht kommt, wo doch die Praxis der Bestechung, des Beutelschneidens und der hemmungslosen Vorteilsnahme schon seit Jahren gang und gäbe ist. Der Grund ist, dass die neoliberale Modernisierung und ihre Umwertung aller Werte in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise selbst in eine Krise geraten ist. In eine Legitimationskrise, die Zweifel an den angeblichen Leistungsträgern dieses Gesellschaftsmodells aufkommen lässt. Die hohen Priester der Marktgesellschaft stehen plötzlich nackt da und es macht sich Unbehagen breit. Zunächst erlebten wir die Götterdämmerung der Banker und Finanzjongleure, die Enttarnung der vermögenden Steuerhinterzieher, dann die Blamage der politischen Elite und nun ist die stets nach Skandalisierungen trachtende Journaille auf der Suche nach immer neuen moralischen Verfehlungen, bis hin zum Papst, der nichts zu den pädophilen Verfehlungen seiner Hirten sagen mag. Es scheint, als hätten alle gesellschaftlichen Autoritäten, die gesamte Elite dieser Gesellschaft, ihre Legitimation eingebüßt und es ist schwer zu sagen, welche Folgen das noch haben wird. Manchmal muss ich dabei an Lenin denken, der einmal schrieb, dass Revolutionen nicht stattfinden, wenn die da unten nicht mehr wollen, sondern die da oben nicht mehr können. Allerdings wollen die da unten immer noch und ihre Zweifel richten sich nicht auf diese Gesellschaftsordnung, sondern auf ihr amtierendes Führungspersonal. Man müsste ihnen raten, die Führung selbst zu übernehmen .

                                                            Harald Werner 17. März 2010


[angelegt/ aktualisiert am  17.03.2010]