Nichts ist dümmer als die Behauptung, der Menschheit ginge die Arbeit aus, denn selbst auf paradiesischen Südseeinseln und erst recht in der vollautomatisierten Industriegesellschaft, wird täglich mehr gearbeitet als gefaulenzt. Alles was ich unternehme, um mich und meine Mitmenschen am Leben zu halten, vor allem aber um den Fortbestand des Lebens zu sichern oder sogar zu verbessern, ist Arbeit. Wobei die Menschen nicht nur Nahrung, Kleidung und trockene Wohnungen brauchen, sondern auch erzogen, gepflegt und sogar mit Kulturgütern versorgt werden müssen, um den Fortbestand ihrer Gattung zu sichern. Wenn das alles Arbeit ist, hat sich seit der Steinzeit eigentlich nichts am Arbeitsbegriff verändert. Das einzige was sich verändert hat, ist die Arbeit selbst. Was vor allem daran liegt, dass der Mensch faul und genusssüchtig ist. Die Faulheit treibt ihn zu immer neuen Einfällen, wie die Arbeit zu vereinfachen ist und die Genusssucht zur ständigen Erweiterung seiner Bedürfnisse. Das eine verringert die Arbeitszeit und das andere verlängert sie. Die Folge ist, dass die Menschen immer weniger für´s nackte Überleben arbeiten, aber immer mehr für die Befriedigung neuer Bedürfnisse.
Daraus folgt die Vorstellung, man könnte diese Spirale beenden, in dem die Menschen bescheidener leben, weniger konsumieren und auf diese Weise gleichzeitig die Natur schonen. Das Stichwort für diese Zukunftsvision heißt Nullwachstum. Dahinter verbirgt sich jedoch ein ziemlich simpler Denkfehler, weil die Zukunft nicht als etwas völlig Neues verstanden wird, sondern als bloße Abkehr von den Gewohnheiten der Vergangenheit. Ebenso wenig wie uns die Arbeit ausgeht, wird die Entwicklung neuer Bedürfnisse aufhören.
Unter neuen Bedürfnissen wird von den meisten neuer Konsum verstanden und beim Thema Wachstum denken sie an wachsenden Naturverbrauch. Neue Bedürfnisse führen jedoch nicht zwangsläufig zur Ausweitung der materiellen Produktion und damit des Naturverbrauchs. Schon heute im Kapitalismus stellen wir fest, dass die Arbeit für die Produktion materieller Güter im gleichen Maße abnimmt, wie die nichtmateriellen Dienstleistungen zunehmen. Das aber nur in dem Maße, wie diese Dienstleistungen die Mehrwertproduktion des Kapitals unterstützen. Man denke nur an die gewaltigen Profite, die in der Kommunikations- und Unterhaltungsindustrie erwirtschaftet werden. Andere dringend benötigte Dienste, etwa im Kultursektor, dem Bildungs- oder Erziehungssystem werden auf sträfliche Weise vernachlässigt. Gleiches gilt für die Gesunderhaltung der Menschen, die Betreuung der Alten oder die Pflege der Infrastruktur. Würde man diese brachliegenden Bedürfnis befriedigen, brächte das nicht nur die in der materiellen Produktion verlorengegangen Arbeitsplätze zurück, sondern würde sich volkswirtschaftlich betrachtet auch als Wachstum niederschlagen.
Vielleicht ist es deshalb richtiger nicht einfach von Wachstum, sondern von Entwicklung zu sprechen. Einer sozialen und ökologischen, also einer nachhaltigen Entwicklung. Wobei wir bisher immer nur über den weitaus kleineren Teil der Menschheit reden, nämlich vom reichen Norden. Man wird weder die ökologischen Probleme, und erst recht nicht die Probleme von Hunger und Unterentwicklung lösen können, ohne mehr dafür zu arbeiten. Jede Stunde mehr Arbeit ist aber ein Mehr an Wachstum. Ärzte, Lehrer und Entwicklungshelfer sind Wachstumsfaktoren, auch wenn sie für den sozial-ökologischen Umbau eingesetzt werden. Manchmal kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass sich die einfallslosen Wachstumskritiker den sozialökologischen Umbau nicht nur als als eine gewaltige Verzichtsveranstaltung vorstellen, sondern auch unter einem ausgeprägten Eurozentrismus leiden.
Das Märchen vom Ende der Arbeit oder der Arbeitsgesellschaft mündet häufig in sozialromantische Vorstellungen von einem Leben jenseits der Erwerbsarbeit und der scheinbar selbstbestimmten Eigenarbeit. Auch das Pflänzchen des bedingungslosen Grundeinkommen gedeiht auf diesem utopisch-romantischen Humus. Es geht hier nämlich nicht um eine existenzsichernde Grundsicherung für alle, die keine Arbeit finden oder nicht arbeiten können, sondern um eine Parallelgesellschaft, deren Angehörige nicht nur vom Rest der Gesellschaft alimentiert werden, sondern von ihr auch ausgeschlossen sind. Diese Utopie ist umso ärgerlicher, als sie ausgerechnet in den Denkfabriken der Neoliberalen erdacht wurde, um auf einfache und natürlich billige Weise die Arbeitslosigkeit loszuwerden. Noch ärgerlicher ist, dass dieses neoliberale Entsorgungsvorhaben mit dem Anschein sozialer Gerechtigkeit daherkommt, illusionäre Vorstellungen über die im Kapitalismus denkbare Höhe dieses Grundeinkommens verbreitet und an den Realitäten gesellschaftlicher Arbeitsteilung vorbeigeht.
Lassen wir einmal die zahlreichen anderen Kritikpunkte an dieser angeblich emanzipatorischen Utopie beiseite und betrachten einfach mal die Realität gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Überall wo Menschen in Gemeinschaften leben, gibt es auch Arbeitsteilung, weil es praktischer ist, wenn man sich spezialisiert und diese Spezialarbeiten auch deutlich bessere Ergebnisse bringen. Arbeitsteilung aber führt dazu, dass man den einen Teil seines Arbeitstages zur Herstellung von Gütern oder der Erledigung von Diensten benutzt, die nicht dem eigenen Bedarf, sondern dem Austausch dienen. Das eine ist dann Eigenarbeit, das andere Erwerbsarbeit. Je weiter die Menschheitsentwicklung geht, umso größer ist der Teil des Arbeitstages, den man nicht für die Befriedigung des Eigenbedarfs benötigt, sondern der ausschließlich dazu dient etwas zu produzieren oder einen Dienst zu erbringen, den man gegen Güter oder Dienstleistungen anderer tauschen kann.
Übrigens muss man bei Erwerbsarbeit nicht unbedingt an Lohnarbeit denken. Auch wer in Eigenarbeit Gedichte schreibt, Opern komponiert oder anderen Menschen die Zähne zieht übt Erwerbsarbeit aus. Aber diese Arbeiten gedeihen nicht in einer von individueller Selbsttätigkeit und von außen finanzierten Parallelgesellschaft. Sie setzen eine hohe Qualifizierung voraus und sind auf die Vernetzung mit sämtlichen anderen Gesellschaftsbereichen angewiesen, um ihre Dienstleistungen überhaupt anbieten zu können. Denn nur durch diese Vergesellschaftung der individuellen Arbeiten erweitern Individuen ihre Fähigkeiten, erwerben von ihrer Leistung abhängige Anteile am gesellschaftlich produzierten Reichtum und können auch auf die Entwicklung der Gesellschaft Einfluss nehmen. Die selbstgenügsame Eigenarbeit ist deshalb nicht emanzipatorisch, sondern isolierend. Sie geht nicht etwa über den Kapitalismus hinaus, sondern ist nicht einmal bei ihm angekommen, weil sich diese irreführende Utopie aus den Bruchstücken einer romantisierten Vergangenheit zusammensetzt.
Wären wir wie vor Jahrhunderten gezwungen, unsere Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände überwiegend in Eigenarbeit herzustellen, wäre das eine zeitraubende, mit deutlichen Qualitätsverlusten verbundene Plackerei. Arbeitsteilung, Spezialisierung und Massenproduktion sind nicht nur eine Voraussetzung für mehr freie Zeit, sondern unverzichtbar, wenn die ganze Menschheit satt werden und länger leben soll.
Harald Werner Juli 2010