Was Staaten heute in den Bankrott treibt

Früher konnten Staaten kaum in den Bankrott getrieben werden, so lange sie Herr der eigenen Währung waren. Sie warfen die Notenpresse an, konnten durch Inflation ihre Schulden senken oder die Steuern erhöhen. Denn so lange genügend Geld im Lande ist und das Volksvermögen die Staatsschulden um ein Mehrfaches übersteigt, ist die Sanierung der Staatsfinanzen lediglich eine Frage der Umverteilung. Der Euro und die zunehmende Abhängigkeit der Nationalstaaten von den internationalen Finanzmärkten hat diese Möglichkeit erheblich eingeschränkt. Für die Großen weniger, für die Kleinen absolut. Früher hätten Länder wie Griechenland oder Irland den Wert ihrer Währung im Verhältnis zu den starken Währungen gesenkt, um ihre nun deutlich billigeren Waren auf dem Weltmarkt absetzen zu können. Das ist für die Euro-Länder heute  nicht mehr möglich.

Gleichzeitig können die kleinen Länder kaum ihre Steuern erhöhen, ohne dass ausländisches Kapital abfließt und mit ihm  Arbeitsplätze verschwinden, denn die meisten haben sich bei den Investoren erst durch Steuergeschenke beliebt gemacht. Was jedoch den Staatsbankrott erst so richtig  vorantreibt, ist die Abhängigkeit von den internationalen Finanzmärkten. Je größer die Finanzierungsnöte eines Landes desto höher die vom Markt verlangten Zinsen. Wobei man wissen muss, dass die Staatsanleihen nur für einen bestimmten Zeitraum ausgegeben und dann wieder zurückgezahlt werden müssen. Die meisten Länder sind dazu nicht in der Lage, sondern geben neue Anleihen aus, um die alten tilgen zu können. Es handelt sich also eigentlich nicht um die Aufnahme neuer Schulden, sondern um eine Umschuldung, die so lange unproblematisch ist, so lange die Zinsen gleich bleiben. Das betraf zum Beispiel Griechenland, das neues Geld nur noch zu stark überhöhten Zinsen bekommen konnte, so dass die Staatsschuld immer größer wurde, ohne, dass das Land wirklich neue Ausgaben tätigte.  Der so genannte Rettungsschirm der EU soll diese Explosion der Staatsschulden dadurch verhindern, dass starke Länder wie Deutschland und Frankreich für Griechenland und andere bürgen, um damit niedrige Zinsen zu garantieren.

Das Problem besteht nun darin, dass die starken EU Länder natürlich nicht unbegrenzt für die Kredite schwacher Länder haften können, ohne dass allmählich auch Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der EU entstehen. Als erstes führt dies dazu, dass sich die großen Geldvermögen nicht mehr in Euro anlegen, sondern in andere Währungen ausweichen. Damit sinkt der Wert des Euro, was für Deutschland gut aber für die schwächeren Länder schlecht ist. Während nämlich der Exportweltmeister Deutschland vom fallenden Euro-Kurs profitiert, weil seine Exportpreise fallen, müssen die schwachen Länder mit steigenden Preisen für Energie, Rohstoffe und Lebensmittel  fertig werden. Für Deutschland ist dies freilich nur am Anfang vom Vorteil, denn seine meisten Exporte gehen in den Euro-Raum. Deshalb auch rechnen die Wirtschaftswissenschaftler mit niedrigen deutschen Wachstumsraten im kommenden Jahr.

 
Warum der Euro gefährdet ist

Griechenland war gerade mal gerettet, da spekulierte man bereits auf den Märkten, welches EU-Land als nächstes vor dem Bankrott steht. Irland sah sich plötzlich mit steigenden Zinsen für seine nächste Umschuldung konfrontiert, zumal nicht nur der Staat, sondern vor allem die verstaatlichten Banken  überschuldet waren. Ohne Bürgschaften, vor allem von Deutschland, Frankreich und Großbritannien, wären erst die verstaatlichten irischen Banken und dann auch das Land selbst bankrott gewesen. Wobei zu erwähnen ist, dass die schnelle Hilfe nicht ohne Eigennutz gewährt wurde. Der Bankrott der irischen Banken hätte auch zu Milliardenverlusten bei deutschen, britischen und französischen  Banken und Versicherungen geführt.  Wäre der Euro-Raum noch so klein und fein wie  vor zehn Jahren, bestünde also aus überwiegend stabilen Volkswirtschaften, wären die gegenwärtigen Probleme wahrscheinlich gar nicht erst entstanden. So aber bestehen auf den Märkten erhebliche Zweifel, ob die Großen stark genug sind, um die Probleme der Kleinen auf Dauer zu lösen. Seit dem schießen die Spekulationen ins Kraut, ob der Euro-Raum noch zu halten ist. Die einen plädieren  deshalb für einen kleineren Euroraum, die anderen möchten die fiskalische Selbständigkeit der EU-Länder aufheben. Beides stößt auf Widerstand, vor allem bei  den Gewinnern des Euro.

 
Wie der Euro jetzt gerettet werden soll

Es war Frau Merkel, die als erstes die Idee in Umlauf brachte, dass bei künftig drohenden Staatsbankrotten nicht mehr die starken Länder einspringen sollten, sondern auch die finanzkräftigen Kreditgeber. Weil  aber die Bundeskanzlerin, wie in jüngster  Zeit üblich,  zwar starke Sprüche aber keine starken Ideen absondert, wurde die Aufregung an den Märkten nur noch größer. Aus lauter Angst, dass sie jetzt ihr Geld verlieren, suchten viele Geldgeber ihr Heil in der Flucht und warfen ihre Staatsanleihen auf den Markt. Die Folge war, dass die Staatsanleihen an Wert verloren und die Zinsschraube wieder angezogen wurde. Nun aber scheint die Lösung gefunden. Ab 2013, wenn der erst kürzlich geschaffene  EU- Rettungsschirm wieder zugefaltet wird, sollen die Gläubiger genau so haften, wie die starken EU-Länder. Gerät ein Mitgliedsland an den Rand eines Bankrotts, wird als erster Schritt zunächst einmal der Verkauf seiner Staatsanleihen verboten. Damit sollen einerseits die  Anleihen der betroffenen Länder nicht weiter an Wert verlieren und andererseits Zeit für eine günstige Umschuldung gewonnen werden. Erst wenn dies nicht gelingt, wird im zweiten Schritt wie bei einem normalen Bankrott verfahren. Mit den Gläubigern wird über einen begrenzten Verlust ihrer Anleihen verhandelt, bis das betroffene Land wieder zahlungs- und vor allem kreditfähig wird.

 
Wo die Probleme wirklich liegen

Das Hauptproblem, worüber kaum jemand gerne redet, ist nicht die Armut der Staaten, sondern der sich auf den Finanzmärkten herumtreibende Reichtum. Letzterer entsteht nicht zuletzt daraus, dass sich  seit vielen Jahren sämtliche Staaten durch Steuersenkungen zu unterbieten suchen. Irland zum Beispiel durch einen atemberaubend niedrigen Unternehmenssteuersatz von nur 12,5 Prozent. Die gewaltige, auf den Märkten angebotene Finanzmasse, fehlt aber nicht nur in den Staatskassen, sondern lässt auch die Spekulation mit Währungen und Staatsanleihen, aber auch mit Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Unternehmenswerten explodieren. Deshalb mag es in einem ersten Schritt sinnvoll sein, die Märkte wieder stärker zu regulieren und vor allem die Spekulation mit den oben beschriebenen Gütern zu begrenzen. Wirklich etwas verändern wird sich aber erst, wenn die gewaltigen Geldvermögen abgeschmolzen werden: Nicht nur durch leistungsgerechte Steuern und die Schließung von Steueroasen, sondern vor allem durch die Anhebung der Masseneinkommen und die Verbesserung öffentlicher Daseinsvorsorge.  

Harald Werner 29.11.10


[angelegt/ aktualisiert am  29.11.2010]