Freundliche

Gespenster

und schreckliche

Albträume

Es ist angeraten das Kommunistische Manifest zu lesen, dieses großartige Stück der Weltliteratur, um zu begreifen, weshalb da von einem Gespenst die Rede ist. Es geht nämlich nicht um ein Schreckgespenst, sondern um die Albträume der Herrschenden, denen die Angst in den Knochen sitzt, dass ihnen jemand an die Beute will, die sie den Unterdrückten, Ausgebeuteten und Rechtlosen abgepresst haben. Der Kommunismus ist bei Marx keine konkrete Staats- oder Gesellschaftsform, sondern eine Metapher, die er im Manifest Stück für Stück ins Konkrete übersetzt, um dem die mythischen Gespenst ein menschliches Angesicht zu geben. Inzwischen sind mehr als 150 Jahre vergangen, die Raubzüge der Herrschenden haben nicht aufgehört, aber leider ist mancherlei im Namen des Kommunismus geschehen, was ihm sein menschliches Angesicht genommen hat. Deshalb halten wir es für angebracht, uns andere Bezeichnungen zuzulegen. Ob das an der Sache etwas ändert ist fraglich. Wir können uns nennen wie wir wollen, die Albträume der Herrschenden bleiben die alten, egal wie wir uns gerade nennen.

Nun könnte man einwenden, es wäre taktisch unklug, vor allem angesichts eines bevorstehenden Superwahljahres, an einer Veranstaltung teilzunehmen, die über „Wege zum Kommunismus“ diskutiert. Mag sein, aber wo kommen wir eigentlich hin, wenn wir die Teilnahme an einer Rosa-Luxemburg-Konferenz ablehnen, wo es hingegen selbstverständlich ist, in welcher Talkshow auch immer, mit Menschen vom Schlage Olaf Henkel oder Josef Ackermann zu parlieren?  Wer mit wirklichen Kapitalisten über den realen Kapitalismus streitet, darf getrost auch mit angeblichen Kommunisten über den utopischen Kommunismus reden. Gesine Lötzsch hat dies getan und dabei ziemlich energisch für den demokratischen Sozialismus gestritten. Wer glaubt, dass die interessierte Journaille dies zitieren würde, der irrt nachhaltig. So wie die Medien gestrickt sind, interessiert sie nicht das Einleuchtende, sondern der Skandal – und gegenüber der LINKEN erst recht. Wobei es ziemlich aussichtslos ist, sich als Linker um jedes Wort oder jede Formulierung herumzudrücken, die sich auf die eine oder andere Weise zur Skandalisierung eignen könnte. Am Ende reden wir dann nämlich wie alle anderen auch: Mit abgeschliffenen Stehsätzen und wohlfeilen Bekenntnissen. Und dafür wählt uns auch niemand.

 

 Vom Kommunistischen Manifest zum Kommunistischen Mysterium  

Zunächst einmal dies: „Der Kommunismus ist für uns kein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“ So weit Marx und Engels 1845. So gesehen gibt es wohl wenige, die in der LINKEN und weit darüber hinaus keine Kommunisten und natürlich auch Kommunistinnen sind. Überhaupt gibt es in der Geschichte nicht nur unzählige Kommunismen, bis hin zum gegenwärtigen der Kommunistischen Volksrepublik China, sondern das Gespenst wechselte ständig auch seine Namen. Die Autoren des Kommunistischen Manifests nannten sich bald schon Sozialdemokraten und auch Rosa Luxemburg hätte die Kommunistische Partei Deutschlands gern eine sozialistische genannt. Kommunist, Sozialist oder auch Sozialdemokrat – all das sind zeitbedingte Etiketten, hinter denen sich manchmal die gleichen, häufig völlig gegensätzliche  Vorstellungen, aber immer Mysterien verbergen, so lange man nicht sagt, was man konkret zu tun gedenkt. 

    

Ich verstehe jede Genossin und jeden Genossen, die sich wünschen, Gesine Lötzsch hätte sich doch bitteschön, vor allem im Hinblick auf unsere Umfrageergebnisse, unmissverständlich von diesem Tabuwort Kommunismus distanziert. Doch was soll´s, damit hört es doch nicht auf. Der SPIEGEL hat bereits das nächste Tabuwort präsentiert, indem er die junge welt als marxistisches Blatt denunzierte. Wollen wir uns aus taktischer Rücksichtnahme demnächst auch noch den alten Marx verbieten lassen? Oder wie ist das mit Rosa-Luxemburg? Wenn sich die Medien mit der gleichen Rosinenpickerei an Rosa Luxemburg heranmachten, wie sie es mit Gesine Lötzsch getan haben, würde Rosa schlechter wegkommen. 

Harald Werner, 7. Januar 2011


[angelegt/ aktualisiert am  07.01.2011]