Als vor einem guten Jahr Oskar Lafontaine und Lothar Bisky erklärten, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren, drohte der LINKEN ein Führungsvakuum, das buchstäblich über Nacht durch einen zwischen Gregor Gysi und den Landesvorsitzenden ausgehandelten Personalvorschlag gefüllt werden sollte. Dazu wurden gleichberechtigt sowohl Ost und West, als auch sämtliche Strömungen eingebunden. Nicht um die in der Partei bestehenden Widersprüche zu versöhnen, sondern um sie zur Zusammenarbeit zu zwingen. Ein ebenso kluger wie misslungener Versuch, wie sich inzwischen herausstellte. Es gibt neue, vor allem persönliche Unversöhnlichkeiten. Selbst während der Parteivorstandssitzungen konnten es einige seiner Mitglieder nicht lassen, ihre Kritik an Diskussionsbeiträgen ungeliebter Mitvorständler in die Medien zu twittern. Ganz zu schweigen von den zahllosen Statements „namhafter“ aber ungenannter „führender Mitglieder“, die die Medien regelmäßig mit Unmutsäußerungen über die Vorsitzenden versorgten. Es ist schon erstaunlich, mit wie wenig Parteimitgliedern sich in der Mediengesellschaft eine Parteikrise erzeugen lässt.
Vieles daran erinnert an die wirkliche Krise der PDS nach der Niederlage in den Bundestagswahlen von 2002 und dem Desaster des Geraer Parteitages. Mit dem Unterschied, dass der Ausgangspunkt heute keine Niederlage, sondern eine damals nicht vorstellbare Erfolgsgeschichte ist. Doch der Mechanismus der Selbstzerstörung ist der Gleiche und die Kontrahenten sind es vielleicht auch. Daran zu erinnern ist gefährlich, weil es sich um self-fulfilling prophecy handeln könnte, eine sich selbsterfüllende Prophezeiung, wie das der Soziologe Robert King Morton einmal nannte. Dem freilich kann man entgehen, vorausgesetzt man lernt aus dem schwachsinnigen Ping-pong-Spiel, das nach Gera einsetzte, und auch daraus, wie die Partei überlebte. Nämlich durch die Vereinigung vor allem mit jenen politischen Kräften, gegen die sich heute der so genannte Gegenentwurf richtet.
Einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung kann man nach Morton nur durch eine sich selbst zerstörenden Prophezeiung entgegenwirken. Kurz gesagt, es gilt genau das Gegenteil von dem zu tun, was in gewissen Redaktionsstuben erwartet wird. Das heißt vor allem alles zu unterlassen, was das Ping-pong-Spiel der Medien unterstützt und ihrer Skandalisierungsstrategie neue Nahrung gibt. Man kann zum Beispiel auch Änderungsvorschläge zum Programmentwurf machen, ohne einen Medienhype zu inszenieren. Und auch wenn es mehr Arbeit bereitet, ist es immer nützlicher, konkrete Änderungen am Text vorzuschlagen, statt einen völlig neuen vorzulegen. Zumal sich der Parteivorstand darauf einigte, den von der plural zusammengesetzten Programmkommission vorgelegten Entwurf als Grundlage von Änderungsanträgen zu machen. Die Vorlage eines Gegenentwurfs wird von den Medien, nicht ganz unberechtigt, als unüberbrückbarer Gegensatz innerhalb der engeren Parteiführung gefeiert. HIm Übrigen besteht natürlich keine Gefahr, dass einige Tausend Parteimitglieder jetzt das Gleiche tun. Die Wahrnehmung solcher Alleingänge bleibt der Prominenz vorbehalten, was man übrigens wissen sollte, wenn man selber die Demokratisierung der Demokratie fordert.
Harald Werner 15. Januar 2011