Wie bei der

LINKEN

Vorteile zu Nachteilen werden

Die LINKE ist in mehrerlei Hinsicht eine Ausnahmepartei, was viele positive Seiten hat aber ebenso viel Probleme mit sich bringt. Eine ihrer positiven Seiten ist mit Sicherheit, dass sie eine intellektuelle und politische Tradition am Leben halten möchte, die nach dem realsozialistischen Desastern in anderen europäischen Ländern entweder ganz verschwunden ist oder im politischen Abseits landete. Ein Umstand, der einen großen Teil ihrer Attraktivität ausmacht.  Eine positive Ausnahme ist mit Sicherheit auch das völlig anders gepolte Ost-Westverhältnis der LINKEN. Sie ist die einzige Partei und vielleicht auch die einzige gesellschaftliche Institution überhaupt, in der nicht nur das ostdeutsche Personal, sondern auch deren Kultur dominiert. Und damit beginnen die Probleme.

Als erstes Problem der selektive Blick auf die Partei, die juristisch betrachtet immer noch Nachfolgepartei der SED ist. Als augenscheinliche Sachwalterin der DDR-Vergangenheit sucht die interessierte Öffentlichkeit mit Leidenschaft nach Bestätigungen ihres liebgewordenen Vorurteils. Vor allem oberflächliche und politisch weniger tiefgängige Beobachter vermuten wahrscheinlich, dass im Karl-Liebknecht-Haus immer noch Honecker-Bilder hängen. Und wer sucht der findet, zwar keine Honecker-Bilder, aber immer wieder Wortmeldungen oder Formulierungen, die diesen Verdacht zu bestätigen scheinen. Unter diesem Generalverdacht zu stehen ist so lange eine schwer abzutragende Hypothek, wie die DDR herhalten muss, um die Unmöglichkeit oder Gefährlichkeit einer sozialistischen Alternativen zu beweisen. Allen nicht mehr zählbaren Entschuldigungen und Distanzierungen zum Trotz, wird die LINKE weiter ihre aufgezwungene Rolle spielen müssen, so heftig sie sich auch dagegen auch wehrt. Das ist keine Entschuldigung, sondern eine Mahnung – nicht nur vor Fettnäpfchen.

Auf der anderen Seite macht es aber auch wenig Sinn, eine Schuldkultur zu pflegen, die den aufrechten Gang behindert und das unverzichtbare rebellische Element linker Parteien verkümmern lässt.  So wichtig linke Realpolitik auch sein mag, eine realistische Empörung ist es auch. Manchmal weiß ich nicht was mich mehr ärgern soll. Die Gedankenlosigkeit mit der angreifbare und dumme Formulierungen in die Welt gesetzt werden oder der blinde Distanzierungs- und Verurteilungsreflex, mit dem von immer den gleichen darauf reagiert wird. In der Regel weiß ich nach einem solchen Vorfall schon bevor ich die Zeitung aufschlage, wer sich wie und von wem distanziert. Und meistens weiß ich auch, wie diese gut gemeinten Distanzierungen von den interessierten Redaktionen aufgegriffen werden: Nämlich als Beweis dafür, dass es auch den Guten unter den Linken langsam zu viel wird. Frei nach Schiller könnte man zu dieser Spirale sich gegenseitig hochschaukelnder Wortmeldungen sagen: „Das ist der Fluch der blöden Tat, dass sie fortzeugend Blödes muss gebären.“

 

Der linke Ost-Westkonflikt

Natürlich gab es diese sich gegenseitig hochschaukelnden Aussagen und Gegenaussagen bereits in der PDS, doch es waren ostdeutsche Konflikte, selten gesamtdeutsche. In der Regel solche, die sich zwischen einer eher randständigen Minderheit und der Mehrheit entzündeten, die nicht nur die Führung, sondern auch die erdrückende Mehrheit in den Parlamenten besaß. Seit der Vereinigung mit der WASG und den Wahlerfolgen im Westen ist daraus ein Ost-Westkonflikt geworden, der, wie es so schön heißt, die Leistungsträger erreicht hat. Kaum jemand wagt dies einen Ost-Westkonflikt zu nennen, aber es ist einer, wenn man sich die Ost-Westverteilung der Kontrahenten betrachtet. Nur, dass er sich weniger an politischen Positionen als am politischen Sprachgebrauch und an Schwerpunktsetzungen festmachen lässt. Weder die ostdeutsche Linke noch die westdeutsche möchten zum Beispiel die DDR oder die Mauer wieder haben, aber die einen haben sie nicht nur erlebt, sondern haben auch noch den Hass und die manchmal körperliche Bedrohung in Erinnerung, mit der man ihnen nach der Wende begegnete. Die anderen können unbefangen sagen, wir haben doch die Mauer nicht gebaut und übrigens ist das der Schnee von gestern.

Andererseits haben viele westdeutsche Linke etwas erfahren, was die meisten ostdeutschen Linken nur aus schlechten Schulbüchern kennen, nämlich persönliche Konflikte mit der Unternehmerwirtschaft, alte Nazis an der Spitze von Regierungen oder Konzernen und natürlich Berufsverbote. Da wird man anders links, als wenn man sich vom linken Dogmatismus befreien musste.  Man weiß wenig voneinander, kennt nicht der anderen Abneigungen und hat vor allem andere Sprachgewohnheiten. Westdeutsche Linken beharren etwa darauf, dass dieses Land eine Klassengesellschaft ist und achten eifersüchtig darauf, dies auch wortgetreu im Programm steht. Viele Ostdeutsche erinnert das Wort ans Parteilehrjahr und sie fürchten nichts mehr, als dass ihre Wählerinnen und Wähler das auch so sehen.

Die Reihe der unterschiedlichen Erfahrungen und sprachlichen Animositäten ließe sich beliebig fortsetzen. Zum Beispiel hat das Forum Demokratischer Sozialismus keinerlei Probleme damit, nicht nur als Reformer bezeichnet zu werden, sondern sich so auch zu nennen. Andere dagegen, die 40 Jahre sozialdemokratische Reformpolitik hinter sich haben, fühlen sich dabei an eine Politik erinnert, derer halben sie die SPD verlassen haben. Die ostdeutsche Linke hat gänzlich andere Traumata als die Westlinke. So fürchtet man im Osten den Dogmatismus, im Westen den Opportunismus. Und das Dramatische ist, dass jede Seite in der anderen genau das sieht, wovon sie sich selbst mühsam befreit zu haben glaubt. Wer beide Seiten gleichermaßen kennt, kann darüber verzweifeln. Zumal sich die Kontrahenten in ihrem gegenseitigen Misstrauen bereits so tief eingegraben haben, dass jede inhaltliche Differenz zum Kampf zweier Linien wird.

Ich halte die Chance, dies zu entwirren, nicht für besonders groß. Es gibt inzwischen zu viele persönliche Verletzungen, es gibt auch Machtinteressen und einen unübersehbaren Bedarf, die Schuldigen für die nachlassende Akzeptanz in der Wählerschaft zu finden. Wer erlebt hat, was in der Partei geschah, als sie 2002 ihre Bundestagsfraktion verlor, kann sich das drohende Szenario vorstellen. Keine guten Aussichten für den kommenden Programmparteitag und noch schlechtere für die Wahl eines neuen Vorstands beim nächsten. Es sei denn, und diese Chance besteht noch, dass sich einige maßgebliche und einflussreiche Genossinnen und Genossen nicht nur über die Medien, sondern auch mal von Angesicht zu Angesicht die Meinung sagen, vor allem aber ihre Gemeinsamkeiten ausloten. Es ist die Stunde der Zentristen, nicht der Flügeladjutanten

 

Harald Werner 11. September 2011     


[angelegt/ aktualisiert am  11.09.2011]