Wie auch immer der Konflikt zwischen Beck und den Modernisierern um Steinmeier und Steinbrück ausgehen mag, die Gewinnerin wird Angela Merkel sein. Das Ziehkind von Helmuth Kohl muss lediglich abwarten, wie sich ihr Koalitionspartner selbst zerlegt und in seine größte Niederlage seit Bestehen der Bundesrepublik schliddert.
Die SPD ist nicht nur die älteste Partei Deutschlands, sie repräsentiert auch seine besseren Traditionen, aber ihre Irrtümer und Wankelmütigkeiten haben zugleich Chancen vernichtet und Katastrophen geboren. Eine Katastrophe wird es nicht sein, wenn Angela Merkel in zwei Jahren eine Bundesregierung ohne Sozialdemokraten bildet, aber eine historische Niederlage und späte Rache für die Wende von 1998 allemal. Was für eine Aufbruchstimmung, als die Ära Kohl nach 16 Jahren beendet und vom Duo Schröder-Lafontaine abgelöst wurde. Und welche für Enttäuschungen, als Lafontaine ging, die SPD den ersten deutschen Kriegseinsatz nach 1945 beschloss, den reichsten der Reichen gewaltige Steuergeschenke machte und die ärmsten der Armen zur Kasse bat. Rot-Grün hat in nur sieben Jahren mehr Sozialabbau betrieben und mehr Arbeitnehmerrechte beseitigt, als sich Kohl jemals hätte trauen dürfen. Angela Merkel hat auf dieser Baustelle nichts mehr zu tun und darf die SPD nun links überholen. Selbst die Hälfte aller SPD-Wähler wünschen sie sich als Kanzlerin. Und während sie gemeinsam mit Ursula von der Leyen die Union sozialdemokratisiert, sind Steinmeier und Steinbrück „stolz auf die Erfolge der Agenda 2010“.
Beck hat ja Recht, wenn er dem SPIEGEL sagt, „ich kann nicht stolz darauf sein, wenn Menschen beispielsweise keine Rentenerhöhung bekommen, länger arbeiten müssen oder lange keine Nettolohnerhöhungen mehr hatten.“ Aber was nutzt es? 58 Prozent aller Deutschen glauben nicht, dass Kurt Beck die SPD disziplinieren kann und das Duo Steinmeier-Steinbrück ist so beliebt, dass es bei Umfragen gleich hinter Angela Merkel kommt. Eine verworrenere Situation hat die SPD noch nicht erlebt. Gerade hat ihr Exvorsitzender Lafontaine eine neue Partei gegründet, die Umfragen der SPD verharren im Allzeittief und der amtierende Vorsitzende hat keine Autorität mehr. Schlimmer noch wiegt, dass der Parteichef und seine führenden Regierungsmitglieder gegensätzliche Richtungen vertreten und die Union bereits mit der FDP kungelt.
Natürlich war der Sturz von Helmuth Kohl ein Sieg, aber mit allem was danach geschah, hat er sich für die SPD in eine katastrophale Niederlage verwandelt. Erst hat Schröder den Turbo-Modernisierer gegeben und nun spielen Merkel, von der Leyen und Rüttgers die besseren Sozialdemokraten. Was für eine verrückte Welt, und so schrieb Brigitte Seebacher-Brandt am vergangenen Wochenende in der WELT am SONNTAG: “Anderthalb Jahrhunderte sind ein verdammt hohes Alter für eine Partei, und so könnte es die SPD verdient haben, friedlich einzuschlafen.“ Da kann man nur noch mit Hans-Jochen Vogel fragen "Was hätte Willy Brandt heute gesagt?"
Harald Werner 10. September 07