Gnade für Zumwinkel

Es muss schon hellhörig machen, wenn Unternehmensfunktionäre und politische Klasse weniger über den Schaden fürs Gemeinwohl klagen, als über den Ansehensverlust der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Als wenn an diesem Ansehen noch etwas zu retten wäre. In den letzten Wochen wurde erkennbar, wie Manager an den Finanzmärkten Milliarden verzocken oder rentable und hoch subventionierte Betriebe dicht machen, um in Billiglohnländern noch höhere Profite zu kassieren. Öffentliche Banken verspekulieren sich und die Steuerzahler haften mit Milliarden, während die politische Klasse bei der Lohnangleichung ihrer Beschäftigten zur Bescheidenheit mahnt. Die Bundesrepublik zählt bald eine Million Millionäre, aber mit ihrer Zahl wächst auch die Kinderarmut. Die Besitzer von im DAX notierten Aktien haben im Vergangenen Jahr einen Vermögenszuwachs von 22 Prozent verzeichnen können, während die abhängig Beschäftigten seit 20 Jahren keine Reallohnsteigerung hatten. Vor 20 Jahren verdienten Spitzenmanager das 14fache ihrer Mitarbeiter, heute verdienen sie 44 mal so viel. Die herrschende Klasse dieses Landes hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auf eine solche Weise bereichert – und das bei gleichzeitigem Sozialabbau und stagnierenden Realeinkommen, dass man beim besten Willen nicht Zumwinkel dafür haftbar machen kann, dass diese Wirtschaftsordnung an Akzeptanz verliert.

Es hat lange gedauert, bis die abhängig Beschäftigten, die Hartz-Geschädigten und die geprellten Rentner begriffen haben, wofür und für wen sie in den letzten Jahren verzichten mussten, aber jetzt haben sie es begriffen und zeigen es auch: Nicht nur in den Meinungsumfragen, sondern auch bei den Wahlen. DIE LINKE bringt das Parteiensystem durcheinander, mausert sich zur drittstärksten politischen Kraft, ohne die sich mancherorts keine Regierungen mehr bilden lassen und das Ansehen unseres Wirtschaftssystems stürzt in den Meinungsumfragen ebenso ab, wie die Aktienwerte an den Börsen. Das alles geschieht ohne den Sündenfall des obersten Postmeisters, aber Zumwinkel Steuerbetrug bietet eine günstige Gelegenheit, den offenkundigen Systemfehler als menschliches Versagen auszugeben.    

Die kriminelle Energie des Multimillionärs Zumwinkel ist fast schon vernachlässigenswert, wenn man an den kriminellen Schacher denkt, mit dem der Chef der Deutschen Bank bei Mannesmann zu Werke ging. Mit seiner Beihilfe wurde der Börsenwert nach oben manipuliert, der Konzern verhökert und anschließend das Management mit mehreren Dutzend Millionen entlohnt. Dass es sich bei der exorbitanten Belohung des Managements um Untreue handelte, ist gerichtsbekannt. Doch Ackermann kam ebenso ungeschoren davon, wie das Siemens-Management, das eine runde Milliarde für Bestechungsgelder ausgab und ein weltweites Korruptionsnetz unterhielt. Und wo Manipulationen des Aktienwertes, Kreditspekulation oder Subventionsschwindel als kreative Geschäftsmodelle gelten, ist auch die Steuerhinterziehung nicht weit. Wobei man sich übrigens fragen darf, ob das Enttarnen von Steuernsündern durch die Bestechung von Bankangestellten nicht ebenso kriminell ist, wie der Steuerbetrug selbst.

Natürlich muss Zumwinkel zur Verantwortung gezogen werden, wer aber trägt Verantwortung dafür, dass Manager zu Ganoven werden? Wie heißt es doch bei Marx: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß;  30 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“[1] Die Zumwinkels sind eine unausbleibliche Folge des durch die neoliberale Politik entfesselten Kapitalismus und der wird so lange Bestand haben, wie die politische Elite an der Macht bleibt, die ihm eine Fessel nach der anderen abnahmen.

Harald Werner 18.03.08

 


[1] Marx Engels Werke, Band 23, S.788


[angelegt/ aktualisiert am  18.02.2008]