Die Konstruktionsfehler des Euro

Der Euro ist die richtige, leider aber halbherzige Antwort auf die wirtschaftliche und soziale Spaltung Europas. Richtig, weil eine gemeinsame Währung die Hauptvoraussetzung für eine sowohl wirtschaftliche, als auch soziale Integration verschiedener Nationalstaaten ist. Falsch aber, wenn sich die gemeinsame Währung nicht auf gemeinsame Standards  in der Wirtschafts- und Steuerpolitik stützen kann und vor allem auch auf eine einheitliche Sozialpolitik. Die logische Folge war in den vergangenen Jahren, dass sich die schwächeren Länder in der Standortkonkurrenz nur durch Lohndumping, geringe Sozialkosten und niedrige Steuersätze behaupten konnten. Genutzt hat es ihnen, wie es sich vor allem am Beispiel Irlands zeigt, wenig oder gar nichts. Im Gegenteil, die BRD, als Land mit der höchsten Arbeitsproduktivität, nutzte die Standortkonkurrenz, um ihrerseits die Lohnquote zu senken, den Sozialabbau zu beschleunigen und die Steuersätze abzubauen. Dass Deutschland Exportweltmeister wurde, verdankt sich zum großen Teil der Verwirklichung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums, denn die Masse seiner Exporte verkauft es in Europa.

Vor der Einführung des Euros wurden die wirtschaftlichen Unterschiede in der europäischen Gemeinschaft durch die Wechselkurse ausgeglichen. Schwache Länder, die in der Arbeitsproduktivität mit den Starken nicht mithalten konnten, sicherten sich ihre Exporte durch Abwertung ihrer Währung, während die Überschwemmung ihrer Märkte, etwa mit Produkten aus der BRD, durch den Wechselkurs gebremst wurde. Für Länder, wie Griechenland,  schuf der Wechselkurs einen Schutzwall, hinter dem sich sein Binnenmarkt relativ selbstständig entfalten konnte. Dagegen behauptete die neoliberale Ideologie, dass sich Wachstum und Wohlstand der schwächeren Länder enorm erhöhen würden, wenn die Währungsschranken fallen und die Konkurrenz zunimmt.

 

Von der Schuldenkrise in die Staatskrise

Die Folgen sind bekannt: Zwar beschleunigte sich zunächst das Wachstum der schwächeren Länder und auch die Löhne stiegen, doch gleichzeitig nahm die soziale Spaltung ebenso zu wie die Staatsverschuldung. Gewaltige Kapitalmassen wanderten in Länder wie Griechenland, Irland, Portugal  oder Spanien, weil sie hier neue Anlagemöglichkeiten fanden – vor allem im Immobiliensektor. Nicht nur die Staaten verschuldeten sich im Vertrauen auf unaufhaltsames Wachstum, sondern auch die privaten Haushalte und mittelständischen Betriebe. Als die Immobilienblase in den USA platzte, erschütterte sie das Weltfinanzsystem und vor allem sämtliche Länder, die selber hoch verschuldet und deren Anlagevermögen überbewertet war. Wachstumsriesen wie Irland entpuppten sich als Schuldenriesen und der neue Reichtum verwandelte sich in die altbekannte Armut. Dass viele abhängig Beschäftigte in der Folge dieser Krise sowohl ihren Arbeitsplatz, als häufig auch ihr Eigenheim verloren, wäre für die Regierungen noch das geringere Übel gewesen, hätte sich zur sozialen Katastrophe  nicht noch eine der Banken und des Staates gesellt. Um Länder wie Griechenland oder Irland aus der Zahlungsunfähigkeit zu befreien, wurden sie mit Krediten und Garantien ausgestattet. Zu spät, denn die explodierenden Kreditzinsen vertieften die Zahlungsprobleme. Auch der dann aufgespannte Rettungsschirm reichte weder um die Anleger auf den Finanzmärkten zu beruhigen, noch um den Euro-Kurs zu stabilisieren. Die einen fürchteten um den Verlust ihrer Milliarden, die sie für Staatsanleihen ausgegeben hatten und andere flüchteten mit ihren Vermögen in scheinbar stabilere Währungen. Das senkte den Wert des Euros und trieb die Zinsen für Staatsanleihen weiter in die Höhe. Voraussichtlich wird jetzt auch noch Portugal oder sogar Spanien zahlungsunfähig, die dann trotz  Rettungsschirm im Regen stehen könnten. Denn irgendwann werden die sich in den notleidenden Staaten öffnenden Defizite zu groß, um sie durch Kredite oder Kreditgarantien der reichen EU-Länder schließen zu können.

 

Eine undenkbare Katastrophe und zwei denkbare Alternativen

Seit Monaten wird die EU zu Schritten gezwungen, die sie niemals für möglich gehalten hat. Zum Beispiel zum Ankauf notleidender Staatsanleihen, damit Länder wie Griechenland wieder Kredite zu noch zahlbaren Zinsen zu erhalten. Wenn das nicht mehr geht, so glauben viele, bliebe nichts anderes, als die kranken Verwandten aus der Familie zu verstoßen und einen kleinen Euro-Raum zu schaffen. Die verstoßenen Nachbarn würden dann tatsächlich bankrott gehen und müssten mit ihren Gläubigern, wie bei einem ganz normalen Insolvenzverfahren, über einen teilweisen Schuldenerlass verhandeln. Das geht zwar, weil natürlich noch der ärmste europäische Staat einen gewissen Wert hat, aber das Ergebnis wäre nicht nur für diese Staaten katastrophal. In den Pleitestaaten würden Löhne und Renten zusammenschrumpfen und die öffentliche Daseinsvorsorge auf ein minimales Niveau sinken, aber sie würden auch kaum Waren aus den reicheren Ländern importieren. Und, was die Banken und Vermögensbesitzer der reichen Länder betrifft, so müssten auch sie verzichten, nämlich auf einen Teil ihrer Kredite und Zinszahlungen. Am Ende würde jedes europäische Land verlieren, jene die aus der Euro-Familie ausgestoßen werden, aber auch diejenigen, die den Euro behalten oder wieder ihre alte Währung  einführen.

Letztlich gibt es also keinen anderen Ausweg, als die Konstruktionsfehler des Euro zu beseitigen und die Zusammenarbeit auf ein stabileres Fundament zu stellen. Wobei sich zwei Alternativen anbieten, vor denen vor allem Deutschland und Frankreich zurückschrecken. Die erste Alternative wäre die Angleichung der sozialen und steuerlichen Standards, was aber auch einen gegenseitigen Finanzausgleich erfordert, wie hierzulande zwischen den Bundesländern. Die zweite Alternative würde heißen, einen gezielten Staatsbankrott der Euro-Länder zuzulassen. Also die Gläubiger zu einem Verzicht auf einen Teil ihrer Forderungen zu zwingen, aber den bankrotten Staaten übergangsweise mit zinslosen Krediten auszuhelfen, bis sie selbst wieder zahlungsfähig und kreditwürdig sind.

Diese beiden Alternativen sind den Ökonomen und Finanzfachleuten durchaus geläufig, aber nirgendwo stoßen sie auf mehr Widerstand, als in der BRD.  Nicht ohne Grund, denn bei der ersten Alternative würde Deutschland seine Vorteile als Exportweltmeister verlieren und wäre obendrein zur solidarischen Finanzhilfe verpflichtet. Bei der zweiten aber, nämlich beim Bankrott eines EU-Landes, träfe es vor allem deutsche Banken und Versicherungen, aber auch alle anderen, die über größere oder kleinere Geldvermögen verfügen. So beweglich aber, meint Lucas Zeise, Finanzkolumnist der deutschen Financial Times, sei Frau Merkel nun doch wieder nicht, „dass sie von ihrer obersten Priorität abgeht, die heimische Finanzbranche vor Unbill und Verlusten zu bewahren.“ (FTD vom 18.Janzar, Seite 24)      

 

Harald Werner, 18. Januar 2011


[angelegt/ aktualisiert am  19.01.2011]