Harald Werner - Alles was links ist
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Warum es um die Eigentumsfrage leise geworden ist

Sieht man einmal von der rein rhetorischen Verwendung des Begriffs ab, wird über die Eigentumsfrage wahrscheinlich aus zwei Gründen weniger diskutiert. Einmal wegen des Scheiterns der realsozialistischen Antwort auf die Eigentumsfrage und zum anderen auf Grund der gravierenden Veränderungen im kapitalistischen Akkumulationsregime. Wobei zwar das Versagen der realsozialistischen Eigentumsordnung nicht verabsolutiert werden darf, aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass sie wesentlich zur öffentlichen Aufwertung des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln beigetragen hat.  Gleichzeitig hat die kapitalistische Modernisierung in den vergangen zwei Jahrzehnten eine neue Wirklichkeit geschaffen, in der die alten Antworten auf die Eigentumsfrage ihre Plausibilität weitgehend verloren haben. Das gilt insbesondere für das Konzept der Wirtschaftsdemokratie, das sich auf die ökonomische Basis eines Nationalstaates bezog und auf globale Wertschöpfungsketten eben so wenig anzuwenden ist, wie auf die Regulierung der Finanzmärkte. Denn Demokratie setzt erstens ein kollektives Subjekt voraus, also zum Beispiel eine durch soziale Beziehungen  miteinander verbundene Bevölkerung und zweitens ein Machtzentrum, das dem demokratischen Willen untergeordnet werden kann. Zwar ist auch der globale Raum gestaltbar, aber der Begriff der Demokratie unterstellt nicht nur politische Gestaltbarkeit, sondern eine direkte, durch Wahlen ausgeübte Einflussnahme. Davon sind alle globalen Institutionen weit entfernt.

Heimatloses Kapital und bodenständige Wertschöpfung

Nach dem Siegeszug des Neoliberalismus ist der gegenwärtige Kapitalismus vor allem durch deregulierte und global funktionierende Finanzmärkte, das Geschäft mit neuen Finanztiteln und den Aufbau globaler Wertschöpfungsketten geprägt. Zwar gründet sich die Mehrwertproduktion nach wie vor auf die Ausbeutung lebendiger Arbeitskraft, die in nationalen Standorten stattfindet, aber diese sind immer weniger in der Lage, ihre ökonomischen und politischen Interessen autonom durchzusetzen. Selbst ökonomisch starke Länder unterliegen der Willkür des global agierenden Finanzkapitals und mächtige Konzerne unterwerfen sich dem Diktat der an den großen Börsen agierenden Rankingagenturen. Sowohl die nationalen Standorte, als auch die Realwirtschaft werden in ihren politischen und ökonomischen Entscheidungen von den Zuckungen der Finanzmärkte und ihren Institutionen getrieben. Die Ursache dafür ist nicht nur politischer Natur, sondern wird neben der neoliberalen Deregulierung auch durch materielle Veränderung der Produktion begünstigt. Früher war die Masse des Kapitals in Nationen eingebettet und wurde für längere Zeiträume in Realkapital investiert, womit es auch einen nationalen Zugriff auf die entsprechenden Eigentumstitel gab. Doch nach der Entbettung des Kapitals aus seinen nationalen Bindungen, der schnelleren Entwertung der materiellen Produktivkräfte und der Zunahme institutioneller Anleger, die mit ihren gewaltigen Geldvermögen flexibel von dem einen in den anderen Standort und von der einen in die andere Branche wechseln können, sind auch die Eigentumsverhältnisse so flexibel geworden, dass nationale Veränderungen der Eigentumsordnung kaum möglich sind. Eine gewisse Ausnahme besteht bei nationalen Reichtümern, die, wie etwa Erdölfelder oder Erzvorkommen, nach wie vor einer nationalen Kontrolle unterworfen werden können, wie etwa in Venezuela oder Bolivien.

Politische und materielle Grenzen einer veränderten Eigentumsordnung

In einigen deutschen Landesverfassungen ist nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit der Vergesellschaftung der wichtigsten Produktionsmittel verankert, was allerdings gleichzeitig durch die im Artikel 15 des Grundgesetzes vorgeschriebene Entschädigungspflicht erschwert wird. Dennoch gibt es im Rahmen unserer Verfassungsordnung keine politischen Grenzen für eine Neuregelung der Eigentumsfrage. Auch die historische Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht nicht von einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung aus, sondern hat dazu festgestellt. „Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann.“ (Bundesverfassungsgericht, Investitionshilfeurteil vom 20.7.1954 – BverGE 4, 7 ff.)

Aktuell problematischer sind die materiellen und ökonomischen Probleme bei der Neuregelung der Eigentumsfrage. Wobei sich die materiellen Probleme nicht auf finanzielle Angelegenheiten beziehen, sondern auf die Zusammensetzung des Produktionspotenzials. In der gegenwärtigen Wirtschaftstätigkeit hat das fixe, in Produktionsanlagen investierte Kapital aus zwei Gründen an Bedeutung verloren, weshalb sich die „Vergesellschaftung der wichtigsten Produktionsmittel“ als eine äußerst komplizierte Angelegenheit erweisen kann. Der erste Grund liegt in der schnelleren Entwertung und den kürzeren Erneuerungszeiten des fixen Kapitals. Diese haben sich so sehr beschleunigt, dass hochmoderne Anlagen in immer weniger Jahren im ökonomischen Sinne wertlos werden, weil sie von der Entwicklung überholt wurden. Das gilt insbesondere für die computergestützte Produktion und automatisierte Anlagen zur Herstellung hochwertiger Konsumgüter. Die sozialen Kosten bei der Stilllegung eines solchen Standortes übertreffen heute in der Regel den aktuellen wirtschaftlichen Wert der Anlagen, so dass mancher Konzern froh ist, wenn er den Standort ohne  Folgekosten los wird. Überhaupt bezieht sich der an der Börse notierte Wert eines Unternehmens weniger auf seine materiellen Produktionsmittel als auf die prognostizierte Rendite, die überwiegend von immateriellen Werten abhängig ist, wie etwa von Patenten, Kooperationsbeziehungen oder Marktanteilen. Und dieses „Eigentum“ ist bedeutend flüchtiger als fixes Kapital, weil es nicht an einen bestimmten Standort gebunden ist, ja nicht einmal an ein bestimmtes Unternehmen. Die immaterielle Substanz des Unternehmens ist häufig weitaus wertvoller, als das sachliche Anlagevermögen, weil der Käufer in der Regel keine neuen Produktionsstätten, sondern Marktanteile, Patente, Markennamen und Vertriebsnetze benötigt, um seine Macht zu vergrößern, während die Produktionsanlagen stillgelegt, ausgeschlachtet oder weiter verkauft werden.

Niemand hat diese Dominanz des immateriellen Unternehmenswertes in den vergangenen Jahren stärker zu spüren bekommen, als Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in mitbestimmten Aufsichtsräten. Sie alle wurden bei Strafe der Standortschließung oder des Verlustes Tausender Arbeitsplätze zum Komanagement gezwungen, weshalb zu Recht die Frage aufkam, ob sich dieses kleine Zipfelchen von Wirtschaftsdemokratie nicht in eine Galgenschlinge verwandelt habe.

Nun darf nicht der Eindruck entstehen, als würden Kapital und Arbeit auf die gleiche Weise von den Finanzmärkten dominiert oder in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Denn zumindest die großen Kapitale sind nicht nur Opfer der beschriebenen Entwicklung, sondern vor allem Täter. Schon vor Jahren machte das Bonmot die Runde, dass es sich bei Siemens um eine Großbank handele, die nebenbei ein Elektrogeschäft betreibt. Und der Druck, dem führende Konzernmanager durch Rankingagenturen und institutionelle Anleger ausgesetzt sind, wird in der Regel durch Millionengehälter ausgeglichen. Die Zeche des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus zahlen lediglich die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften, während das Management zu den maßgeblichen Gewinnern und Profiteuren der beschriebenen Umbrüche gehört. Ihre Bezüge orientieren sich zu einem wachsenden Teil nicht an der realen Wertschöpfung, sondern am Börsenwert, der besonders schnell steigt, wenn Verkäufe oder Massenentlassungen anstehen.  

Randbemerkung: Der Unterschied zwischen Eigentum und Besitz

An dieser Stelle, wo die neue Flexibilität des Eigentums an Produktionsmitteln sichtbar geworden ist, ist ein Rückgriff auf die rein theoretische, beziehungsweise juristische Eigentumsdebatte notwendig, um einerseits die erfolgten Veränderungen in der Eigentumsordnung genauer zu analysieren und andererseits eine theoretische Grundlage für neue Antworten auf die Eigentumsfrage zu bekommen.

Seit es eine Debatte über die ökonomisch sinnvollste, wie auch sozial gerechteste Eigentumsordnung gibt, und diese Debatte beginnt bereits im Altertum, wird zwischen Eigentum und Besitz unterschieden. So sagte zum Beispiel Aristoteles, dass das Eigentum privat, aber sein Gebrauch öffentlich sein sollte, weil der Privateigentümer mit der ihm gehörenden Sache sorgsamer umgeht, als etwa mit öffentlichen Gütern. Gleichzeitig stellte er aber auch fest, dass das private Eigentum andere ausschließt, woraus Neid und Missgunst entsteht, so dass die Stabilität der Gesellschaft gestört wird. Deshalb solle das Privateigentum dem öffentlichen Gebrauch zur Verfügung stehen.

Die von Aristoteles vorgenommene Unterscheidung ähnelt der heutigen Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz. So kann zum Beispiel ein Dieb eine Sache besitzen, aber er ist nicht ihr Eigentümer und wer seine Eigentumswohnung vermietet, verliert eine Teil seiner Besitzrechte, nämlich die Wohnung selbst zu nutzen. Alle Eigentumsordnungen bürgerlicher Gesellschaften gehen vom Unterschied zwischen Eigentum und Besitz aus, in dem sie zwar das Eigentumsrecht garantieren, aber gleichzeitig die Verfügungsgewalt darüber mehr oder weniger konkret einschränken. So heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch: „Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ (§ 903 BGB) Dem Eigentümer werden zwar keine konkreten Schranken für den Gebrauch seines Eigentums gesetzt, aber sie werden immerhin für zulässig erklärt. Noch präziser wird das Grundgesetz im Artikel 14 Ansatz 2 indem es festlegt: „ Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

An den Unterschied zwischen Eigentum und Besitz knüpfen auch das Konzept der Wirtschaftsdemokratie und der Mitbestimmungsgedanke an. Sie propagieren keine Enteignung aber eine mehr oder weniger weitgehende Einschränkung der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel durch demokratische Gremien. Das tun auch verschiedene Sozialismusvorstellungen, indem sie zum Beispiel dem Staat das Eigentum an den Produktionsmitteln zugestehen, aber die Verfügungsgewalt in die Hände der Belegschaften legen oder umgekehrt, die Beschäftigten zu Eigentümern machen und dem Staat eine weit reichende Verfügungsgewalt zusprechen. Auf jeden Fall gehen all diese Antworten auf die Eigentumsfrage von einem relativ ortsfesten Sachvermögen aus und von Eigentümern, deren Verfügungsgewalt so weit eingeschränkt werden kann, dass sie den Zugriff anderer, zum Beispiel durch Arbeiter- oder Wirtschaftsräte, nicht verhindern können.  

Der Wandel in den Eigentums-, Besitz- und Klassenverhältnissen

Das augenscheinlichste Merkmal des neuen Kapitalismus sind nicht als erstes die Finanzmärkte, sondern zunächst einmal Eigentümer großer Geldvermögen, die Finanzmärkte brauchen, um ihre Vermögen gewinnbringend anzulegen. Große Geldvermögen und globale Finanzmärkte können sich aber wiederum nur herausbilden, wenn die kapitalistische Ökonomie so viel produziert, dass sowohl die Existenz der Beschäftigten, als auch der persönliche Verbrauch der Kapitaleigner und natürlich die Wiederherstellung des Produktionspotenzials und der öffentlichen Daseinsvorsorge gesichert sind. Wird mehr als das produziert, beginnt die Akkumulation, also die Anhäufung von Kapital, das neu angelegt werden kann. Das typische Problem des Kapitalismus ist dabei nicht, dass zu wenig, sondern zu viel akkumuliert wird, so dass sowohl das Sach- als auch das Geldkapital Verwertungsschwierigkeiten bekommt. Was letztlich zur kapitalistischen Krise führt, in der massenhaft Produktionsmittel und Arbeitsplätze vernichtet werden.   

Eine solche Überakkumulationskrise hat in den 1970er Jahren zum Siegeszug des Neoliberalismus geführt, weil er neue Wege zur Verwertung des überakkumulierten Kapitals aufzeigte, vor allem durch die Erleichterung des Kapitalverkehrs und die Beseitigung von Handelsschranken, was wiederum neue Finanzierungsinstrumente notwendig machte und neue Spekulationsmöglichkeiten eröffnete. Die Ergebnisse dieses Umbaus sind beeindruckend und zugleich bedrückend. Auf der einen Seite eine gewaltige Erhöhung des globalen Sozialprodukts und kometenhafte Aufstiege von Schwellenländern, auf der anderen Seite wachsende Armut und der Absturz ganzer Weltregionen in Barbarei und Chaos.

Das überakkumulierte Kapital des reichen Nordens hat Wunder geschaffen und noch mehr Wunden geschlagen, aber es hat sich vor allem auf wundersame Weise vermehrt. Nach dem neuesten Reichtumsbericht der Investmentbank MerrillLynch und des Finanzdienstleisters  Capgemini gab es auf der Welt 2006 etwa 9,5 Millionen Menschen mit einem Finanzvermögen von mehr als einer Million Dollar. Dieses runde Tausendstel der Weltbevölkerung besitzt  etwa 40 Prozent des gesamten Weltgeldvermögens und verzeichnete 2005 einen Vermögenszuwachs von 11,4 Prozent.[1] Natürlich handelt es sich dabei im Kern um die alte Industrie- und Geldaristokratie, aber trotzdem haben sich die Eigentums- und Klassenverhältnisse aus zwei Gründen entscheidend verändert. Zum einen sind die meisten Erben der großen Industrievermögen aus der aktiven Unternehmertätigkeit ausgestiegen, während sie ihre Unternehmen für Finanzinvestoren öffneten. Zum anderen sind aus den früheren Mittelschichten viele in die Schicht der Manager oder hohen Staatsbeamten aufgestiegen, haben häufig auch kleinere Vermögen geerbt und sind neben ihrer eigentlichen Berufstätigkeit zu cleveren Spekulanten geworden. So haben sich die Reichen in der Bundesrepublik zu einer Massenschicht entwickelt, zu der 2005 rund 798.000 Menschen mit einem Geldvermögen von mehr als einer Million Dollar gehörten. Die Zahl der deutschen Millionäre ist allein im Jahr der Untersuchung um 31.000 Personen, also um knapp vier Prozent gestiegen. Nach Mitteilung der Deutschen Bundesbank wuchs dass Geldvermögen der privaten Haushalte 2007 auf 4,76 Billionen und nahm in nur einem Jahr um 230 Milliarden oder fünf Prozent zu – was in etwa der Hälfte sämtlicher Steuereinnahmen entspricht. Überhaupt ist das auffälligste an dieser Entwicklung, dass der Reichtum hierzulande und global schneller wächst als die gesamte Wirtschaftsleistung.

Diese Entwicklung verursacht tief greifende Veränderungen in der Klassenstruktur, weil einerseits die Geldelite immer größer und reicher wird, während andererseits die Mittelschicht schrumpft und sich die Schicht der Armen rasant vergrößert. Die Zunahme des Geldvermögens – wozu hauptsächlich Wertpapiere und andere Finanztitel gehören – verändert aber auch die Struktur des Privateigentums. Der Geldbesitzer beteiligt sich zwar an der kapitalistischen Wertschöpfung, profitiert von unternehmerischen Entscheidungen und trägt auch das so genannte Unternehmerrisiko, aber er ist kein Unternehmer. Er hat sein Direktionsrecht abgegeben und übt nur indirekten Einfluss auf die Wertschöpfung aus. Entweder als mit Stimmrecht auf der Hauptversammlung vertretener Aktionär oder als Kunde eines Bankhauses, der sein Geldvermögen von der einen in die andere Anlage umschichtet, ohne sich um die Folgen dieses Eigentumswechsels Gedanken machen zu müssen. Ökonomisch betrachtet handelt es sich beim Eigentümer von Geldvermögen um einen Kapitalisten – sofern dieses Vermögen groß genug ist, um davon leben zu können. Aber im Gegensatz zum aktiven Unternehmer ist er in den Methoden seiner Profitmaximierung ungleich flexibler und sowohl blind für die sachlichen Bedürfnisse des Unternehmens, als auch für die sozialen der Beschäftigten. Der aktive Unternehmer muss nicht nur Mehrwert produzieren, sondern auch darauf achten, dass die Bedingungen der Mehrwertproduktion erhalten bleiben, also eine qualifizierte und motivierte Belegschaft  und auch eine intakte öffentliche Infrastruktur, während sich der anonyme Kapitalist nur um die Höhe seiner Rendite zu kümmern hat, gleich welche Folgen damit verbunden sind. Ob man diesen Kapitalismus nun als Folge der Globalisierung betrachtet, als Shareholder-Kapitalismus bezeichnet oder als einen vom Finanzmarkt getriebenen, im Kern ist es ein von den Besitzern großer Geldvermögen getriebener Kapitalismus, der sowohl eine andere Klassenstruktur, als auch eine andere Eigentumsproblematik hervorgebracht hat.

Deformierte Vergesellschaftung

Engels hat angesichts der Ausweitung von Aktiengesellschaften und Börsengeschäften einmal von der ersten Form der Vergesellschaftung des Kapitals gesprochen, Was insofern richtig war, als die personifizierten Besitzer von Produktionsmitteln durch eine gesellschaftliche Schicht abgelöst wurde, die zwar Eigentümer von Produktionsmitteln ist, darüber aber nicht frei verfügen kann. Heute, mehr als 100 Jahre nach Engels Bemerkung, zeichnet sich diese „Vergesellschaftung“ des Kapitals im Wesentlichen durch drei Deformationen aus: Erstens findet zwar eine zunehmende Entkopplung von Eigentum und Besitz statt, doch die anonymen Eigentümergemeinschaften herrschen ungleich autoritärer und skrupelloser über die Gesellschaft als der personifizierte Unternehmer. Zweitens  ist die inzwischen globale Eigentümergemeinschaft weder an nationale Standorte noch an bestimmte Sachvermögen gebunden, so dass sie sich nicht nur über die nationalen, sondern auch über die sachlichen Bedürfnisse der Produktion hinwegsetzen kann. Drittens mündet diese Unabhängig und Flexibilität in wachsende Ausbeutung von Mensch und Natur, Zerstörung gesellschaftlicher Strukturen und wachsende wirtschaftliche Labilität. Es handelt sich um eine Vergesellschaftung, die nicht nur Gesellschaften zerstört, sondern sich auch der gesellschaftlichen Kontrolle entzieht und die nationalen Standorte gegeneinander ausspielen kann. Doch die augenscheinliche Hilflosigkeit der Gesellschaften ist selbstverschuldet und wird nicht von anonymen Finanzmärkten verursacht, sondern von ihren Geldeliten. Es handelt sich um eine sozialökonomische Klasse, deren Einkommen sich überwiegend aus der Spekulation mit Finanztiteln speist und deren Renditen weit über denen der Realwirtschaft liegen. Diese überdurchschnittlichen Renditen bewirken einerseits ein überproportionales Wachstum des Finanzkapitals und andererseits eine größere Abhängigkeit der Realwirtschaft von den Renditeerwartungen der Geldvermögenden.

Die alte Eigentumsfrage in der neuen Realität des Kapitalismus

An der klassischen Eigentumsfrage des Kapitalismus hat sich im Grundsatz nichts geändert, weil sich die Gesellschaft nach wie vor in Eigentümer und Nichteigentümer von Produktionsmitteln spaltet und diese Trennlinie über Art und Höhe der Aneignung des gesellschaftlich erzeugten Reichtums entscheidet. Die neue kapitalistische Realität wird jedoch durch eine Eigentümerschicht dominiert, die weder räumlich noch rechtlich in der Ausübung ihres Eigentumsrechts eingeschränkt ist. Sie muss weder nationale Mitbestimmungsrechte noch Streiks fürchten und kann in Sekundenschnelle ihre Profitquellen wechseln, wenn Risiken drohen oder höhere Renditen versprochen werden. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass diese Eigentümerschicht das Interesse am Nationalstaat verloren hat. Denn Immer noch wird die Masse des Profits in den reichen Ländern des Nordens produziert, sind die wichtigsten Technologiezentren angesiedelt und konzentriert sich die ökonomische und militärische Macht mit der Märkte und Rohstoffe gesichert werden. Ohne ökonomisch starke Nationalstaaten und weltweit handlungsfähige Regierungen ist das globale Engagement der Geldelite unvorstellbar. Und trotzdem höhlt das Finanzkapital die Nationalstaaten aus, weil es die Staaten in einen erbarmungslosen Unterbietungswettbewerb bei der Senkung der Staatsquote, der Steuersätze und der Arbeitskosten treibt. Für niemanden ist eine niedrige Inflationsrate wichtiger, als für das Finanzkapital, so dass die Senkung der den Zins nach oben treibenden Staatsverschuldung zum wichtigsten Staatsziel wird.

Das erste Problem der bestehenden Eigentumsordnung ist deshalb, dass es sich dabei im wachsenden Maße um frei florierendes Geldvermögen handelt, das einen erheblichen Erpressungsdruck auf die Beschäftigten, auf den Sozialstaat und überhaupt auf die Staatsziele ausüben kann. Dies aber führt zum zweiten Problem, nämlich der eingeschränkten Handlungsfähigkeit von abhängig Beschäftigten und staatlicher Politik. Daraus folgt, dass sich die Eigentumsfrage nur entschärfen lässt, wenn das ausufernde Wachstum des Geldvermögens gebremst und seine zerstörerische Flexibilität eingeschränkt werden kann. Damit ist die Eigentumsfrage nicht gelöst aber ohne Maßnahmen, die in diese Richtung gehen, gibt es keine Alternativen zur gegenwärtigen kapitalistischen Realität.

Der „sanfte Tod des Rentiers“

Die wichtigste Antwort auf die aktuelle Eigentumsfrage, also auf die Frage wie die zerstörende Wirkung der großen Geldvermögen überwunden werden kann, müsste also nicht bei der Enteignung oder auch nur der demokratischen Verfügung über das Produktionspotenzial ansetzen, sondern beim Geldkapital. Und das auf zweierlei Weise, einmal durch regulierende Eingriffe in die Geldwirtschaft und zum anderen durch das Abschmelzen der enormen Überakkumulation des Geldvermögens. Wobei die Regulierung der Finanzmärkte das einfachere Problem wäre. Insbesondere seit der Ruf nach neuen Regulierungsinstrumenten sogar aus ehemals marktradikalen Kreisen, wie etwa der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds zu hören ist. Als erstes ginge es darum all die Spekulationen zu erschweren, bei denen durch Käufe und schnelle Wiederverkäufe Kursschwankungen von Zehntel Prozenten ausgenutzt werden. Der größte Teil dieser die Märkte destabilisierenden Transaktionen würde unterbleiben, wenn für den Kauf oder Verkauf eine minimale Steuer erhoben würde, zum Beispiel durch Börsenumsatzsteuern oder die so genannte Tobin-Steuer. Das Gleiche gilt für Warentermingeschäfte, die insbesondere den Erdölpreis oder neuerdings die Preise der Lebensmittel nach oben treiben.

Schließlich müssten bestimmte Finanzgeschäfte schlicht unterbunden werden, wenn sie überwiegend der Spekulation und nicht der Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten dienen. Dazu gehört etwa die Möglichkeit der so genannten Verbriefung von Krediten, die die jüngste Finanzkrise begünstigte oder die Gründung bankeigener Zweckgesellschaften, die nicht der Bankenaufsicht unterliegen und deshalb risikoreiche Geschäfte betreiben können. Auch die Tätigkeit von Fonds, die sich auf das Ausschlachten von Unternehmen spezialisiert haben und daraus höhere Renditen erwirtschaften, als wenn sie diese Unternehmen betreiben würden, kann unterbunden werden, ohne die Kreditversorgung zu behindern. Man sollte die Wirkung dieser Regulierung nicht nur als Kampf gegen die Spekulation betrachten, denn im Kern geht es um die Einschränkung der Verfügungsgewalt über Kapital. So wie die klassische Wirtschaftsdemokratie und die Mitbestimmung auf Kontrolle der Investitionen zielte, muss auch die Neuregulierung der Finanzmärkte auf eine Investitionskontrolle hinauslaufen. Nicht bin direkter Form, also durch positive Investitionsentscheidungen, sondern durch die Verhinderung negativer Finanzinvestitionen.

Die wichtigste Antwort auf die aktuelle Eigentumsfrage aber ist die Bekämpfung der Überakkumulation von Kapital. Wobei nicht nur Marx in der Überakkumulation des Kapitals das Hauptproblem der kapitalistischen Ökonomie sah, sondern nach ihm viele andere Ökonomen, wie etwa John Maynard Keynes, der in diesem Zusammenhang vom „sanften Tod des Rentiers“, also des jeder Unternehmertätigkeit enthobenen Renditejägers sprach. „Das Heilmittel“, so Keynes, „würde in verschiedenen Maßnahmen liegen, die den Hang zum Verbrauch durch die Neuverteilung der Einkommen … bezweckten.“[2]  In diesem Sinne ist eine aktive Lohnpolitik, die Erhöhung der Sozialeinkommen und vor allem eine andere Steuerpolitk nicht nur aus Gründen sozialer Gerechtigkeit notwendig, sie greift auch das Hauptproblem der gegenwärtigen Eigentumsordnung an, weil sie das von einer Volkswirtschaft erwirtschaftete Mehrprodukt vergesellschaftet. Einmal durch eine stärkere Beteiligung der abhängig Beschäftigten am Volkseinkommen und zum anderen durch die Stärkung öffentlicher Investitionen und den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Abschließend wäre zu sagen, dass die Eigentumsfrage wahrscheinlich auch deshalb weniger gestellt wird, weil man zu sehr daran gewöhnt war, ihre Lösung in der Kontrolle oder der Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu sehen. Weil aber diese Maßnahmen durch die Dominanz der Finanzmärkte und die Flexibilität der Geldvermögen ins Leere zu laufen drohen, scheint die Regulierung des Finanzsektors und die Umverteilung beziehungsweise Abschmelzung der großen Geldvermögen die einzig richtige Antwort.

Harald Werner, 16. Mai 2008  

 

 

 

 

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[1] Isw-wirtschaftsinfo 41, Bilanz 2007, München, April 2008

[2] Keynes, John Maynard: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1936), Berlin, Neuausgabe 1983, S.274


[angelegt/ aktualisiert am  16.05.2008]