Der Begriff Machtpolitiker ist außerordentlich negativ besetzt, obwohl Macht die Hauptvoraussetzung erfolgreicher Politik ist – und zwar unabhängig davon wozu sie benutzt wird. Kein politischer Erfolg kommt ohne irgendeine Form von Machtentfaltung zustande, was sowohl für Hitler, als auch für Gandhi galt. Kohl ähnelte beiden nicht, hatte aber ein sicheres Gespür für den Zeitgeist, die Kunst der Inszenierung und den richtigen Zeitpunkt. Was seine Anpassung an den Zeitpunkt betrifft, geht Albrecht von Lucke in seinem Kommentar in den Blättern so weit, ihn als typischen Vertreter der 68er Generation zu bezeichnen.[1] Das verblüfft, trifft aber den Nagel auf den Kopf, wenn man ins Konkrete geht. Als Kohl Vorsitzender der CDU wurde, war sie eine Honoratiorenpartei mit 370.000 Mitgliedern, Ende der 1980er Jahre zählte sie etwa doppelt so viel Mitglieder und hatte sich zur tatsächlichen Volkspartei gemausert. Nicht nur weil ihre Basis an sozialer Breite gewonnen hatte, sondern auch ihr Politikspektrum: Auf der einen Seite der rechtskonservative Dregger und auf der anderen Heiner Geißler und Norbert Blühm. die mit der Formulierung der „neuen sozialen Frage“ in den sozialdemokratischen Hoheitsbereich eindringen konnten. Und dann entdeckte Kohl die Frauenfrage, machte Rita Süßmuth zur ersten Frauenministerin und später sein „Mädchen“ Angela Merkel erst zur Ministerin für Frauen und Jugend und später zur ersten Bundesumweltministerin.
‚Es ist zwar fraglich, ob Kohl oder nicht doch Gorbatschow der Stifter der deutschen Wiedervereinigung war. Kohl aber hat sie zum richtigen Zeitpunkt inszeniert. Nicht auf dem diplomatischen Parkett, sondern in Strickjacke vor Gorbatschows Datsche sitzend. Eine Inszenierung ganz nach dem Spruch der 68er Generation: „das Private ist politisch, das Politische ist privat“ . Von Lucke glaubt Kohls Anpassungsfähigkeit sogar nach in der Spendenaffäre zu finden, nämlich in der Sponti-Weisheit: „Legal, illegal, scheißegal.“
Harald Werner 2. Juli 2017
[1] Albrecht von Lucke, Wille und Macht: Von Kohl zu Macron, Blätter für deutsche und internationale Poltik, 7/17. S,5