Scheubles berühmte schwarze Null, die sein Nachfolger Olaf Scholz wie eine Reliquie übernommen hat, kennt nur eine Richtung, nämlich Ausgaben sparen. Über die Einnahmeseite wird so gut wie nie geredet. Da wäre zum Beispiel an die nur ausgesetzte Vermögenssteuer zu denken, die heute jährlich an die 20 Milliarden Euro bringen würde. Das sind etwa zehn Prozent mehr als im aktuellen Bundesetat für Bildung und Forschung vorgesehen sind, aber auch mehr, als im vergangenen Jahr für die Pflege ausgegeben wurde. Kurz gesagt: Mit der Wiedererhebung der Vermögenssteuer könnte so manches soziale Problem leichter gelöst werden, als durch einen Gemeinschaftsdienst.
Das Kapital ist bekanntlich ein „scheues Reh“, das sofort das Weise sucht, wenn man ihm mit Steuern ans Fell will. Um diese Flucht zu unterstützen gibt es eine wahre Industrie der Steuervermeidung. Zunächst einmal um sich ganz legal der Sozialpflicht zu entziehen, mehr aber noch beim Schummeln in der Steuererklärung. So schreibt der Focus: „Dieselbe Gier, dieselben egoistischen Motive: Wenn es darum geht, den Staat um Steuern zu betrügen, steht der Durchschnittsbürger großen Unternehmen in nichts hinterher.“[i] Friedrich Schneider, ein Experte für Schattenwirtschaft, schätzt die jährliche Steuerentziehung auf 45 Milliarden Euro. Die Hälfte davon, bis zu 20 Milliarden, geht nach Schneider auf das Konto der „einfachen Leute.“ Vermutlich sind es meistens Mitbürger, die einem Gemeinschaftsdienst durchaus zugeneigt sind, mit Sicherheit aber keine Ahnung von der im Artikel 14 des Grundgesetzes dem Eigentum vorgegebene Sozialpflicht haben, woher auch?
Seit wenigen Jahren erst geht es Steuerhinterziehern an den Kragen, wenn sie Schwarzgeld in der Schweiz oder der Karibik gebunkert haben. Und zwar nicht, weil man in den Finanzämtern danach fahndet, sondern weil es einen florierenden Markt für geklaute Kontodaten aus den Steueroasen gibt. Noch gravierender aber ist die legale Steuerhinterziehung multinationaler Konzerne, die ihre Riesengewinne nicht im Herkunftsland, sondern in Niedriglohnländern versteuern. Deutschland, so wird geschätzt, gehen jährlich rund 17 Milliarden verloren, weil Internetkonzerne oder Verkaufsplattformen nicht dort versteuern, wo sie Gewinne machen, sondern vorzugsweise in Billigsteuerländern, wie etwa auf den Cayman Islands oder Irland. Dass selbst die EU demgegenüber machtlos scheint, hat eine schlichte Ursache: Man möchte die Multis nicht verschrecken, weil die meisten EU-Länder selbst von dieser Praxis profitieren.
Noch unbekannter als die im Grundgesetz verankerte Sozialpflicht des Eigentums freilich ist die Möglichkeit der Enteignung, wenn sie dem Allgemeinwohl dient. Wobei durchaus daran erinnert werden darf, dass diesem Artikel seinerzeit die Christdemokraten zugestimmt haben. In Hessen ist man damals noch weitergegangen und hat in der Landesverfassung gleich festgelegt, was alles in Gemeineigentum überführt werden soll, nämlich „der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen“ (Artikel 41 Abs. 1 Nr. 1der Hessischen Landesverfassung.) Weil dies der britischen Besatzungsmacht zu radikal war, musste der Artikel in einer Volksabstimmung bestätigt werden, was mit über 70 Prozent auch geschah.
Harald Werner 8.8.18
[i] Focus-online 7.11.2017