Einige Berliner Akteure haben mit ihrer Initiative zur Enteignung großer Wohnungskonzerne eine Diskussion angestoßen, wie sie der Partei fast noch nie gelungen ist. Denn was ist für eine linke Partei wichtiger, als gesellschaftliche Grundfragen zum öffentlichen Gesprächsthema zu machen? Natürlich ist das der LINKEN auch bei anderen Themen schon gelungen, wie etwa beim gesetzlichen Mindestlohn, der Abschaffung von Hartz IV oder dem Pflegeproblem. Doch erstens konnte sie dabei selten ein Alleinstellungsmerkmal in Anspruch nehmen und zweitens rührten die Themen nicht an die Kernfrage sozialistischer Politik, nämlich an die Eigentumsfrage. Zwar heißt es im geltenden Parteiprogramm ausdrücklich, dass die LINKE „über den Kapitalismus hinaus“ will, doch jetzt wird es an Hand der Mietenkatastrophe zum ersten Mal auch konkret. Und egal wie der vor der Tür stehende Berlibner Volksentscheid ausfällt und auch unabhängig davon ob es tatsächlich zu Enteignungen von Wohnungskonzernen kommt, wird die Debatte weitergehen und die negativen Folgen des Privatisierungswahns der letzten drei Jahrzehnte thematisieren. Im Ergebnis würde es dann nicht mehr heißen „Privat geht vor Staat,“ sondern „öffentlich geht vor privat“.
Von keiner Seite wird eigentlich noch geleugnet, dass es in der Bundesrepublik an bezahlbarem Wohnraum mangelt und sich dieser Mangel noch zuspitzen wird. Die markt- und profitorientierte Wohnungswirtschaft behauptet, dass sich das Problem lösen würde, wenn mehr gebaut würde. Ganz im Geiste der klassischen Volkswirtschaft, wo unterstellt wird, dass die Preise sinken, wenn nur ausreichend produziert wird. Doch die Theorie geht nur auf, wenn es zur Produktion einer Ware ausreichend entsprechenden Rohstoff gibt und zweitens genügend zahlungsfähige Käufer. An beidem aber mangelt es.
Erstens werden Wohnungen nicht im Himmel gebaut, was manche Theologen glauben mögen, sondern auf dem begrenzten und nicht vermehrbaren Boden. Je mehr aber gebaut wird desto mehr steigen die Bodenpreise. Und davon profitieren sämtliche Immobilienriesen, weil das ihren Vermögenswert erhöht, ohne neue Investitionen zu tätigen zu müssen. Ein Traumgeschäft: Das Immobilienkapital muss nichts produzieren, es wird auch nicht von irgendeinem anderen Konkurrenten in die Pleite getrieben, sondern es ist eine Art perpeteum mobile, das ohne Arbeit und ohne neue Investitionen kontinuierlich wächst. Diese Eigenschaft teilt es mit dem Finanzkapital und den Devisenspekulanten, so dass man das Immobilienkapital getrost dem fiktiven Kapital zurechnen kann, dessen Wert sich auf nicht mehr als auf Erwartungen stützt. Welcher industrielle Produzent könnte in eine solch komfortable Lage kommen? Und dann profitiert der Immobilienkonzern noch zusätzlich davon, dass die Nachfrage nach Wohnraum umso schneller steigt, je mehr Menschen geboren werden, in die Städte ziehen und glücklicherweise auch länger leben. Dass dieses Geschäftsmodell tatsächlich so funktioniert, zeigt die Entwicklung in den attraktiven Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg. Vor allem in Berlin steigen die Mieten schneller als die Einwohnerzahl, während die Einkommen erheblich weniger als in den anderen Metropolen steigen.
„Generell kranken alle gegenwärtigen Handlungsansätze daran, dass sie trotz hohen Einsatzes öffentlicher Mittel keine sozialen Bindungen der Wohnungen schaffen, oder nur solche, die zeitlich und inhaltlich stark beschränkt sind. Dies liegt im Kern daran, dass die soziale Wohnraumförderung in Deutschland aus öffentlichen Hypotheken besteht. Sind die Kredite zurückgezahlt – und das ist inzwischen zum Teil schon nach 15 Jahren der Fall – ist der Eigentümer frei, seine Wohnungen am Markt zu verwerten. Solange es noch die Wohnungsgemeinnützigkeit mit ihrer Unternehmensbindung gab, konnten die Folgen wenigstens für einen Teil der Wohnungen abgefedert werden. Eine solche dauerhafte Unternehmensbindung, ein neues gemeinnütziges Segment, ist neben öffentlichen Grundstücken und Fördermitteln unverzichtbar.“[1]
aus marxistischer Sicht ist die Verwandlung des Wohnens in eine bloße Ware übrigens kein Sonderfall, weil es zum wichtigsten Grundsatz der Kapitalakkumulation gehört, alles in eine Ware zu verwandeln. Kein menschliches Bedürfnis aber auch jede Naturkraft ist davor gefeit, zu deiner Ware verwandelt zu werden. Der Neoliberalismus hat in dieser Hinsicht wirkliche Wunder vollbracht. Erst durch die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, seit einiger Zeit aber auch durch eine Art Ablasshandel, wie ihn vor Jahrhunderten die Kirche betrieb, nämlich durch den Kauf von Papieren, die einen Menschen sündenfrei machten. Der moderne Ablasshandel aber befreit die Klimakiller von ihren ökologischen Sünden. Gemeint sind jene dubiosen Verschmutzungszertifikate, mit denen Kohlekraft- oder Stahlwerke ihre Umweltsünden abbüßen können, indem Zertifikate von anderen kaufen, die ihre Verschmutzungsrechte nicht ausschöpfen.
Dass das Wohnen keine Ware, sondern ein unverkäufliches Menschenrecht ist, wurde Am 25. September 2015 auf einem Gipfel der Vereinten Nationen in New York mit der "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" (Sustainable Development Goals, SDGs) anerkannt. Ein einzigartiges Dokument, weil sich die Unterzeichnerstaaten darin verpflichten, bis 2030 insgesamt 17 ökologische und soziale Ziele zu erreichen. Wobei von Seiten der deutschen Politik schamhaft verschwiegen wird, dass sich darunter auch das Recht auf ausreichenden und vor allem bezahlbaren Wohnraum befindet.
Harald Werner, 26.4.19
[1] https://www.2030report.de/de/bericht/317