Harald Werner - Alles was links ist
 

Am Ende eines Revolutionszyklus

Die Klassiker haben wenig Konkretes über die sozialistische Revolution hinterlassen, sondern es ausdrücklich abgelehnt, „Rezepte für die Garküchen der Zukunft“ zu verfassen. Sie beschränkten sich auf aktuelle Vorschläge, wie die Eroberung der politischen Macht und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und sprachen grundsätzlich nicht von einer „revolutionären Umwälzung“, sondern von einer „Epoche der Revolution“. Wie sich die bürgerliche Gesellschaft erst über Jahrhunderte und auch auf unterschiedliche Weise durchsetzte, verstanden auch Marx und Engels den Sozialismus als Ergebnis einer „permanenten Revolution“. Unabhängig davon machten sie jedoch auch konkrete, der aktuellen Situation eines Landes entsprechende Vorschläge, wie etwa die Eroberung der politischen Macht und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel – bezogen sich dabei jedoch immer noch auf einen konkreten Nationalstaat und nicht, wie später dann die Kommunistische Internationale, auf eine mit dem „roten Oktober“ begonnene, letztlich alle Länder erreichende Weltrevolution. Ausgehend von diesem Verständnis wurde der Begriff eines Revolutionszyklus geboren, der 1905 in Russland begann und 1923 abebbte, sich aber nach der Niederlage des Faschismus in der damals so genannten Dritten Welt in sehr unterschiedlichen Formen erneuerte. Sieht man einmal von China ab, dann endete dieser Revolutionszyklus mit der Befreiung Kubas und mündete in die Implosion des so genannten sozialistischen Lagers, was von den angeblichen Siegern der Geschichte seitdem als Revolution bezeichnet wird. Entscheidend für dieses politische Desaster war jedoch, dass nicht nur die Entwicklung der Produktivkräfte hinter dem Kapitalismus zurückblieb, sondern auch die durch Zentralismus und Bürokratie deformierten Produktionsverhältnisse.

 

Das Ende dieses Revolutionszyklus hat eine tiefe Schleifspur in den staatssozialistischen Ländern aber auch in der westlichen Linken hinterlassen, zumal sie die neoliberale Modernisierung beschleunigte, öffentliches Eigentum privatisierte und den Markt zum dominierenden Regulationsinstrument erhob. Wo es denn noch wirtschaftsdemokratische Utopien gab, verschwanden sie vollständig aus der politischen Debatte, von sozialistischen Ideen einmal abgesehen, die selbst in der Sozialdemokratie in den Papierkörben landeten. Gekrönt wurde das Ganze mit der von Merkel ausgerufenen „marktkonformen Demokratie“, mit der sogar die bürgerliche Politik ihre Gestaltungskraft aufgab.

 

Der Klimawandel verändert alles  

Es gibt kein globales Problem, das nicht auf die eine oder andere Weise durch den Klimawandel zugespitzt oder gar verursacht wird. Inzwischen leugnet deshalb auch kaum noch jemand, dass der CO2-Ausstoß drastisch begrenzt werden muss, um eine ökologische Katastrophe zu verhindern. Nehmen wir einmal Trump aus, dann wird der Klimawandel von den führenden Industriestaaten kaum noch geleugnet. Das Problem ist nur, dass fast alle von einer marktkonformen Lösung überzeugt sind, nämlich durch Einpreisung des Schadstoffausstoßes, in die Warenpreise. Diese indirekte Regulierung hat jedoch den großen Nachteil, dass sie nichts am kapitalistischen Charakter der Produktion ändert. Und dabei geht es nicht allein um die Jagd nach Profit. Entscheidender ist, und daran krankte auch der erste sozialistische Versuch, dass Fortschritt als eine Kombination aus Produktivitäts- und Konsumsteigerung verstanden wird. Seit mehr als zwei Jahrhunderten folgt die ökonomische, und gesellschaftliche Entwicklung dem Grundprinzip: Immer mehr, immer schneller und immer billigerer. Dieses Prinzip zu überwinden, nämlich in den entwickelten Ländern weniger zu produzieren, die Gesellschaft zu entschleunigen und die ausbeuterische Billigproduktion in den armen Ländern zu beenden, kann man durchaus als das wichtigste Ziel einer klimaneutralen Lebensweise bezeichnen. Jeder Schritt in diese Richtung, bringt die  „permanente Revolution“ einen Schritt weiter.

 

Natürlich geht es dabei um die Eigentumsfrage. Aber nicht nur um Enteignung, sondern um eine Vielzahl von Strategien, die von der wirtschaftsdemokratischen Einhegung des Kapitals über die Stärkung des Gemeineigentums bis zur „Enteignung“ der großen Vermögen durch an die Substanz gehende Steuern reichen. Das wird alles dauern, weshalb man sich von vornherein von der Vorstellung schneller Umbrüche befreien muss. Damit ändert sich natürlich auch die klassische Revolutionsvorstellung und man muss sich daran erinnern, dass Marx und Engels von einer „Epoche der sozialen Revolution“ sprachen, nicht aber von „der Revolution“, die in sich einem schnellen Umbruch aller Verhältnisse erschöpft.

 

Im Zeitalter des Klimawandels muss man sich freilich auch von der Utopie verabschieden „sozialistische Inseln“ zu schaffen. Was noch vor Jahrzehnten denkbar war, nämlich die Existenz und die allmähliche Vereinigung von Nationalstaaten, die einen sozialistischen Weg eingeschlagen haben, ist nach dem Scheitern des Staatssozialismus und der totalen Globalisierung zu einer brüchigen Illusion geworden. Vor allem auch wegen der nicht nur unterschiedlichen, sondern auch gegensätzlichen Interessen zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden. Während die entwickelten Gesellschaften auf vieles verzichten müssen, was ihnen eine „imperiale Lebensweise“[1] ermöglichte, können die armen Länder nur durch massive Unterstützung einen eigenen Entwicklungsweg einschlagen. Die Liste der Verluste, die der Norden dabei hinnehmen muss, ist lang. Sie reicht von den billigen Textilien aus Indien, den steigenden Preisen für importierte Liebensmittel oder Rohstoffe und mündet letztlich auch in gewaltige Finanztransfers. Möglich ist das alles, aber es erfordert nicht weniger als einen Totalumbau der globalen Ökonomie.

 

Wer aber soll das alles ändern?    

Wovon man sich als erstes verabschieden muss, ist die Vorstellung, dass ein solcher Entwicklungsweg von den internationalen Institutionen, von der UN über die Treffen der G20 bis hin zu globalen Konferenzen eingeleitet werden kann. Hält man sich vor Augen, wie lange es dauerte, bis sich eine Mehrheit der Staaten auf gemeinsame Ziele zur Reduzierung der Treibhausgase einigen konnte oder einen Migrationspakt beschloss, so kann man nur außerordentlich pessimistisch sein. Im Unterschied zu den historischen Revolutionen, vom Altertum bis zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, existiert heute auch kein globales, historisches Subjekt, das zum Träger einer globalen Umwälzung werden könnte. Auf der anderen Seite sind wir mit einem globalen Subjekt, nämlich den wenigen Besitzern der gewaltigen und gewalttätigen Geldvermögen konfrontiert. So besitzt nach der jüngsten Oxfam-Studie das reichste Prozent der Weltbevölkerung 82 Prozent des in 2017 erwirtschafteten Vermögenswachstums.“ (https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/2018-01-22-82-) Wobei es sich nur insofern als Subjekt bezeichnen lässt, weil es, neben allen, durchaus vorhandenen philantrophischen oder politischen Unterschieden durch nur ein gemeinsames Interesse verbunden ist, nämlich die Kapitalakkumulation.

 

Im Grunde genommen hat es jedoch, in der überschaubaren Menschheitsgeschichte, nie ein gesellschaftliches Subjekt gegeben, das sich seiner eigenen revolutionären Mission von Anfang an bewusst war. Deshalb wird auch die Herausbildung eines global handlungsfähigen Subjekts zahlreiche Hürden nehmen müssen. Das mag auf Grund der digitalen Kommunikation leichter, auf Grund der sehr unterschiedlichen Interessen und Entwicklungsbedingungen aber auch schwieriger sein. Hinzu kommt, dass die revolutionären Kämpfe vergangener Epochen jeweils mit einer konzentrierten politischen Macht konfrontiert wurden, während der globale Kampf für eine ökologische Wende gegen eine Vielzahl von Staaten zu führen wäre, die einerseits recht unterschiedliche Interessen haben und andererseits auch gegensätzliche geopolitische Strategien verfolgen. Das alles heißt aber nicht, dass sich kein global handlungsfähiges Subjekt herausbilden kann, man muss sich nur von der Vorstellung lösen, dass es sich auf die gleiche Weise formieren wird, wie Bourgeoisie oder Arbeiterklasse entstanden. Die Situation erinnert an Antonio Gramsci, der dafür den Begriff des Interregiums prägte. Eine Zwischenzeit, in der das Alte noch nicht verschwinden und das Neue noch nicht zur Welt kommen kann.

Harald Werner 2.7.19

 


[1] Brand, Ulrich/Wissen, Markus, 2017: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, 2. Auflage, München


[angelegt/ aktualisiert am  02.07.2019]