Die LINKE ist keine gewöhnliche linke Partei, sondern ein europäischer Ausnahmefall. Sie ist die einzige Partei, die nach dem Epochenbruch von 1989 ehemalige Mitglieder einer sozialistischen Staatspartei und Westlinke aus unterschiedlichen und ehedem sogar miteinander verfeindeten Lagern zusammenführte. Und es gibt keine in der Geschichte der BRD relevante sozialistische Strömung oder Partei, deren Akteure sich nicht früher oder später in der PDS oder der LINKEN wiederfanden. So entstand auch ein völlig neuer Typ linker Parteien: Offen für Strömungen, Akzeptanz und sogar Unterstützung ihrer Strukturen und eine bis an die Schmerzgrenze gehende Toleranz gegenüber destruktiven Parteitagsstrategien. Das muss man erstmal aushalten lernen. Wenn es denn eine sich auf den Marxismus beziehende Partei gibt, die in ihrer Struktur der Dialektik von Einheit und Kampf der Gegensätze gerecht wird, dann war es erst die PDS und später DIE LINKE.
Es kommt eine Sonderrolle hinzu, die in der Geschichte linker Parteien wahrscheinlich einmalig ist. Die PDS – Urmutter der LINKEN – ist die einzige europäische Partei, die nicht aus einer erfolgreichen Bewegung, sondern aus einer Niederlage entstanden ist. Das macht sensibel, auch experimentierfreudig und überaus kritisch gegenüber Autoritäten jeglicher Couleur. Auch Sahras Plädoyer, dass die neue Sammlungsbewegung „nicht nur von Politikern gestartet wird, sondern auch von Künstlern, Intellektuellen.“ hat keinen wirklichen Neuigkeitswert. Sahra könnte sich daran erinnern, wie viele Intellektuelle und Künstler bereits für die PDS im Bundestag saßen, ohne die Ochsentour durch die Parteibasis hinter sich bringen zu müssen. Wobei eines entscheidend ist: Bei aller Offenheit für Quereinsteiger, entschieden letztlich die Mitglieder, wer sie im Bundestag vertreten sollte. Es wäre schon interessant zu wissen, wie sich Sahra und Oskar dies vorstellen.
Man kann den Vorschlag für eine neue linke Sammlungsbewegung unmöglich diskutieren, ohne die europäischen Beispiele für die Ablösung von Parteien durch populistische Bewegungen zu diskutieren. Nicht nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums, sondern auch in der Mitte und links davon haben sich politische Projekte als äußerst erfolgreich erwiesen, die sich bewusst von der Organisations- und Arbeitsweise von Parteien unterscheiden wollen. Das gilt sowohl für Emmanuel Jean-Michel Macron und seine Bewegung „En Marche“ in Frankreich, als auch für die von dem Komiker Grillo gegründete „Fünf- Sterne-Bewegung“ in Italien – die erstere auf der rechten Mitte, die andere auf der linken.
Die Erfolge der populistischen Protagonisten scheinen viel zu gewaltig, um sie zu ignorieren und nicht ihre Organisations- und Entscheidungsprozesse für linke Politik zu übernehmen. Rein äußerlich betrachtet sind diese Bewegungen basisdemokratisch und nutzen exzellent die Möglichkeiten der sozialen Medien, womit sie einerseits demokratischer als klassische Parteien daherkommen und andererseits leichter eine Generation erreichen, die nicht nur den größten Teil ihrer Information aus dem Netz saugt, sondern auch keine Neigung zeigt, in den Niederungen politischer Alltagsarbeit aktiv zu werden. Gleichzeitig kann man in Frankreich sowohl bei „En Marche“, als auch in anderen Parteien aktiv werden und die „Fünf-Sterne-Bewegung“ verzichtet grundsätzlich auf eine Mitgliederstruktur. Was aber nicht ausschließt, unliebsame Akteure aus der Kommunikation auszuschließen.
So wenig wir heute über die von Sahra und Oskar propagierte Sammlungsbewegung wissen, so wenig kann man ihnen vorwerfen, die zitierten populistischen Organisationen nachahmen zu wollen, auch wenn ihre individualistische Initiative nicht frei von Ähnlichkeiten ist. Trotzdem kann es einer Linksentwicklung in der BRD nur nützlich sein, wenn es neben LINKE und SPD, vielleicht auch unter Einschluss der wenigen verbliebenen Linken bei den Grünen, eine linke Plattform gibt, die deren Zusammenarbeit fördert und einem politischen Richtungswechsel wieder eine Chance gibt.
Harald Werner 24.3.18