Der Slogan ist austauschbar und so wundert es nicht, dass die LINKE zum Beispiel in Baden-Würtemberg 22.000 Stimmen an die AfD verloren hat und deren Anteil an Arbeiterstimmen mit 30 Prozent Stimmen doppelt so hoch war, wie ihr Stimmenanteil insgesamt. 81 Prozent der Wählerinnen und Wähler im Musterländle wählten die AfD nicht wegen deren Politik, sondern aus Enttäuschung über die anderen Parteien. Ob das hauptsächlich auf Grund ihrer Flüchtlingspolitik geschah, ist schwer zu sagen. Entsprechende Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen, weil bei der Frage nach den Motiven eher die öffentliche als die persönliche Meinung formuliert wird. Doch die Bankenschelte deckt sich nicht nur mit der öffentlichen Meinung, sondern wird mit dieser Offenheit auch nicht von den anderen Parteien zu Papier gebracht. Dass die LINKE mit dem Linksopportunismus der AfD Stimmen verliert, mag vor allem daran liegen, dass die politische Kommunikation weitgehend aus dem Alltag verschwunden ist und die Parteibindung hauptsächlich medial aufrechterhalten wird.
Parteien entstehen weniger aus konkreten politischen Absichten, als aus sozialen und kulturellen Milieus, die sich irgendwann politisieren und eine weltanschauliche Elite hervorbringen, die sich schließlich zur Partei formiert. Dementsprechend ist die viel zitierte Wählerbindung weniger das Ergebnis einer konkreten Programmatik, als einer mentalen, soziokulturellen Übereinstimmung. Doch dieser Kitt ist brüchig geworden, seit die sozialen Milieus ihre Trennschärfe verloren haben, und die Parteien ihre weltanschauliche Unverwechselbarkeit. Die SPD ist keine Arbeiterpartei mehr, die CDU keine christlich-konservative und das Monopol der Grünen auf ökologische Nachhaltigkeit ist lange schon gebrochen. Als Milieupartei behaupteten sich bislang nur CSU und LINKE, wobei die LINKE registrieren muss, dass sich das Potenzial der Montagsdemonstrationen inzwischen zu einem erschreckend großen Teil bei Pegida wieder findet. Geht aber die ursprüngliche Milieubindung verloren, weil die sozialen und kulturellen Bindungskräfte abnehmen, steigt einerseits die Zahl der Wechselwähler und andererseits die Politikverdrossenheit. Die einen sind auf der Suche nach Ersatz, die anderen resignieren, weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen. So wird das Wahlvolk zu einer Art Flugsand, in dem die Parteien ihre Wurzeln verlieren. Bislang war die Folge politisches Desinteresse, was sich vor allem in den Wahlurnen zeigte, aber auch im Mitgliederschwund der Parteien, die seit 1990 etwa die Hälfte ihrer Mitglieder verloren haben. Jetzt aber kommen nicht die Desinteressierten zu den Wahlurnen zurück, sondern die überzeugten Nichtwähler, von denen die Statistik weiß, dass sie sehr wohl eine politische Orientierung vertreten, aber gerade deshalb nicht wählen gehen.
Mit Blick auf die steigende Beteiligung an den letzten drei Landswahlen wagte sich die AfD Vorsitzende Petry zu behaupten, ihre Partei sei ein Gewinn für die Demokratie - nicht zu letzt deshalb, weil sie überdurchschnittlich bei Nichtwählerinnen und Wählern gewann. Was die Mobilisierung der Stimmberechtigten betrifft, scheint das ebenso richtig zu sein, wie es inhaltlich absurd ist. Obwohl noch kein Programm vorliegt, ist die programmatische Ausrichtung ziemlich deutlich. Die AfD wird nämlich das Kunststück vollbringen, eine Milieupartei zu werden. Eines Milieus das durch nichts anderes zusammengehalten wird, als der Angst vor der Globalisierung, dem Ressentiment gegen die europäische Integration sowie der Sehnsucht nach nationalstaatlicher Geborgenheit und Heimatschutz. Deutschland bekommt mit der AfD was sich in der EU überall schon etabliert hat, nämlich einen vielstimmigen, rechtspopulistischen Block.
Ein Gewinn für die Demokratie ist die AfD auch deshalb nicht, weil sie sich die Entpolitisierung der Politik zu Nutze macht, nämlich den Hang zur Inszenierung telegener Auftritte und die Reduzierung komplexer Zusammenhänge auf Botschaften, die in den Sekundentakt der Fernsehauftritte passen. Frauke Petry beherrscht das bereits. Und wie inszenierte Politik so funktioniert, wird es nicht lange dauern, bis das politische Personal der Partei, bis herunter zu den Kreisvorsitzenden, ihr nacheifert. Sie ist die nette junge Frau von nebenan und der ganze Gegentyp zu den schwarz gewandeten Dumpfbacken der extremen Rechten. Natürlich ist dies eine Sollbruchstelle des Rechtspopulismus aber sie ist durch eine längst schon existierende Arbeitsteilung zwischen Haudraufs und Biedermännern zu managen. In mancherlei Hinsicht gleicht dies dem Nationalsozialismus, wo die SA für die Drecksarbeit und die Ideologen für das Bildungsbürgertum zuständig waren.
Nach dem rauschenden Wahlsieg in Sachsen-Anhalt sitzt fast jedes zehnte AfD Mitglied im Landtag und rechnet man die einzustellenden Mitarbeiter der Abgeordneten und des Apparates hinzu, dürfte demnächst wohl ein Viertel der AfD-Mitglieder in Sachsen-Anhalt aus dem Landeshaushalt bezahlt werden. Noch bevor die Partei wusste, wie sensationell ihr Wahlergebnis ausfallen würde, suchte sie auf ihrer Internetseite ein Dutzend leitende Angestellte mit Hochschulabschluss in Jura oder Wirtschaftswissenschaft. Eine ähnliche Jobmaschine hat ihre Arbeit nach den Landtagswahlen in Baden-Würtemberg und Rheinland-Pfalz aufgenommen. Zusätzlich fällt überall der hohe Anteil selbständiger Unternehmer und Akademiker auf, deren regionale Netzwerke außerordentlich nützlich für die Basisarbeit sein werden. An Kanalarbeitern, bezahlt oder ehrenamtlich, wird es wohl nicht mangeln.
Interessanter noch ist das Netz der neurechten Vordenker, in dessen Mitte das in Schnellroda auf einem Rittergut beheimatete „Institut für Staatspolitik“ steht. Sein Leiter Götz Kubitschek betreibt einen eigenen Verlag, referiert europaweit bei rechtspopulistischen Parteien, tritt aber auch schon mal bei Pegida-Demonstrationen auf, deren Fahne vor seinem Rittergut weht. Obwohl seine Aufnahme in die AfD im vergangenen Jahr von dem damaligen Vorsitzenden Bernd Lucke verhindert wurde, ist er in der Partei hoch angesehen und fördert ihre wichtigsten Meinungsführer, wie etwa den Thüringer Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn Höcke und den Landesvorsitzenden von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg. Das Besondere an diesem Netzwerk der neurechten Bewegung ist, dass sie sich nicht nur als Strömung in der AfD versteht, sondern europaweit vernetzt ist und vielfältige Formen der Zusammenarbeit mit ideologisch Gleichgesinnten pflegt, die nicht in die neofaschistische Ecke passen, so etwa Jürgen Elsässer, dem Exlinken Herausgeber des Magazins Compakt sowie dem Front National in Frankreich und der FPÖ in Österreich. Auch der Politikstil der Neurechten erinnert in mancherlei Hinsicht an rechtsgewendete ehemalige Linke wie Elsässer. So nannte sich eine der zahlreich von Kubitschek gegründeten Initiativen „Konservativ-Subversiven Aktion“ die ihre Ideologie durch „spektakuläre Aktionen“ verbreiten sollte. Was nicht nur zufällig an die von der „Kommune 1“ in den 1960er Jahren gegründete "Subversive Aktion" erinnert.
Überhaupt wird dieses neurechte Netzwerk noch interessanter, wenn man seinen ideologischen Gleichklang aus einer geopolitischen Perspektive betrachtet. Seine Knotenpunkte verbinden nämlich nicht nur die bekannten rechtspopulistischen Parteien wie etwa den Front National oder die FPÖ und sie beschränken sich auch nicht auf ihren eignen nationalen Raum. Sie favorisieren ein „Europa der Vaterländer“ und geißeln ebenso die „Gleichmacherei“ der EU, wie ihre offensichtliche Abhängigkeit von den USA. So darf man getrost damit rechnen, dass dieses Netzwerk umso aktiver werden wird, je länger die Krise der EU anhält. Micha Brumlik hat in seinem Aufsatz „Das alte Denken der neuen Rechten“ in den „Blättern“ ausführlich beschrieben, wie die europäische Neurechte auf die alte faschistische Vision eines „eurasischen Raumes“ zurückgreift. Weshalb sie sich auch „mit dem Russland Putins verbunden fühlt und warum Putin die europäische Rechte von Marie Le Pen bis zu Victor Orban finanziell und ideell fördert“ Kein Wunder, dass auch der AfD Bundesvize Alexander Gauland nicht nur am lautesten für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland trommelt, sondern die Beziehungen zu Russland jetzt schon zu einem entscheidenden Thema der kommenden Bundestagswahl erklärt.[2] Gauland glaubt zwar, die außerordentlich hohen AfD Ergebnisse in Pforzheim, auf die dort starke Vertretung der Deutschrussen zurückführen zu können, aber das allein ist keine Erfolgsgarantie. Entscheidender dürfte wohl sein, dass gerade Ostdeutsche immer noch ein anderes Verhältnis zu den ehemaligen „Brüdern“ haben als der Westen.
Harald Werner 19.03.16
[1] Blätter für deutsche und internationale Politik, 3`16, S.87