Mit dem Ende der fordistischen Produktionsweise und der Durchsetzung des Neoliberalismus verwandelten sich nicht nur Produktionsweise und Kapitalakkumulation, sondern vor allem auch die Alltagskultur, die politische Kommunikation und das geistig-kulturelle Leben der betroffenen Gesellschaften. Grund dafür war die Tiefe und Breite der zahlreichen Umbrüche, die sämtliche Lebensbereiche und darunter auch die Arbeitswelt erfassten. Kollektive Strukturen wurden durch individuelle Verantwortlichkeiten aufgelöst und die abhängig Beschäftigten zur Aneignung unternehmerischen Denkens gezwungen. Was sich schließlich in der absurden Begrifflichkeit des Arbeitskraftunternehmers niederschlug. Hinzu kam in den 1980er Jahren der Niedergang des so genannten Realsozialismus, der nicht nur die Hoffnung auf eine nichtkapitalistische Entwicklung schwinden ließ, sondern generell den Glauben an die Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft unter sich begrub.
Ein bekannter Kommentator erfand damals den Spruch „so viel Ende war noch nie“ und der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sprach sogar von einem „Ende der Geschichte“, weil es keinen weiteren Fortschritt in der Entwicklung gesellschaftlicher Prinzipien und Institutionen mehr geben werde. Er hat diese Hypothese später zwar selbst verworfen, doch „der Geist war aus der Flasche“ und entfesselte eine philosophische Debatte in der die Frage gestellt wurde, ob es überhaupt noch so etwas wie Wahrheit oder Vernunft geben könnte.
Der Philosoph Jean-Francois Lyotard gab die Parole vom „Ende der großen Erzählungen“ aus, womit er alle Theorien meinte, die auf unterschiedliche Weise vom Gedanken eines ständigen gesellschaftlichen Fortschritts überzeugt waren. Die Skepsis von Lyotard und anderer postmoderner Denker stützte sich auf ganz verschiedene Krisenerscheinungen. Vor allem aber auf die nachlassende Strahlkraft des Sozialismus, die Krise des Sozialstaates, die zunehmende Wachstumskritik und die Bedrohung der Menschheit durch einen ökologischen Kollaps, vor dem der Club of Rome warnte. Damit aber entstanden gleichzeitig grundlegende Zweifel an den von der Aufklärung entwickelten Prinzipien wissenschaftlicher Erkenntnis. Gleichzeitig wurde damit in Frage gestellt, ob man in der politischen Öffentlichkeit überhaupt noch auf so etwas wie „Wahrheit“ oder „Fakten“ bauen könnte und man nicht viel mehr davon ausgehen müsste, dass jedes Individuum seine eigene subjektive Wahrheit entwickelte.
In gewisser Hinsicht hatten die postmodernen Denker damit eine Schwäche des „Positivismus“ aufgedeckt, nämlich einer Tendenz der Wissenschaft, ihre Ergebnisse als objektive Tatsachen zu betrachten, die frei von subjektiven Interessen oder momentanen Empfindungen der Forschenden sind. Eine solche Sichtweise aber konnte man den Philosophen der „Aufklärung“ keineswegs nachsagen. Im Gegenteil: Kant, Hegel und Marx waren stets davon überzeugt, dass wissenschaftliche Ergebnisse von den Interessen der Forschenden geprägt sind und nur begrenzt als objektive Wahrheiten betrachtet werden können. Bei Marx drückte sich das in dem Satz aus: „An allem ist zu zweifeln“ und in der Überzeugung, dass man eine Sache nur erkennen kann, wenn man sie kritisiert. Weshalb er mit dem „Kapital“ auch kein Lehrbuch der Politischen Ökonomie, sondern eine „Kritik der Politischen Ökonomie“ veröffentlichte. So gesehen muss man der Postmoderne durchaus zugestehen, dass sie nicht nur den Positivismus kritisierte, sondern auch einen begrenzten Beitrag zur Erneuerung der Aufklärung leistete. Begrenzt deshalb, weil sich das postmoderne Denken inzwischen längst schon aus den Hörsälen und akademischen Zirkeln in die Alltagswelt ausgeweitet hatte.
Die Postmoderne durchdrang sämtliche Lebenswelten, von der Architektur über die Literatur bis hin zur Mode und den sozialen Beziehungen. Das Leitmotiv hieß "Anything goes" und meinte einen umfassenden Pluralismus, bei dem sich alles mit allem kombinieren lässt und jedes Individuum das Recht auf eine höchst spektakuläre Inszenierung seiner Persönlichkeit hat. Natürlich hat das die Liberalisierung der Gesellschaft vorangetrieben, Vorurteile abgebaut und neue Freiheiten geschaffen. Doch das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies auf dem Boden einer kapitalistischen Ökonomie geschah, die ihre eigenen Interessen durchsetzen wollte: „Anything goes“ hieß in ihrem Sinne, dass sich alles in eine Ware verwandeln lässt und traditionelle Strukturen des Wirtschaftens ebenso umgewälzt werden sollten, wie über Jahrzehnte erkämpfte soziale Sicherheiten zugunsten von mehr Wettbewerb geschliffen werden mussten. Wer sich dem entgegenstellte war „strukturkonservativ“ und hatte den Impuls zu mehr Freiheit nicht verstanden.
Viele Anhänger der Postmoderne verwarfen aber nicht nur den positivistischen Wahrheitsbegriff, sondern behaupteten generell, dass jedes Individuum seine eigene subjektive Wahrheit konstruiert und es deshalb auch keine objektive Wahrheit geben kann. Ein Mensch könnte eine Tatsache so oder anders auch anders sehen, je nach dem von welchen persönlichen Erfahrungen oder Wertvorstellungen er ausgeht. Der Schweizer Journalist Jörg Köppel schrieb dazu: „Es erscheint heute zunehmend akzeptabel, den Eindruck zu erwecken, alle Fakten könnten in beliebiger Weise >interpretiert< werden. Rechts von der politischen Mitte wird daraus ein Programm: Völlig normale wissenschaftliche Kontroversen – etwa von Klimatologen über die Umstände des Klimawandels - gelten als Beleg dafür, dass diese auch nicht mehr als bloße >Meinungen< zu bieten hätten.“[1] Statistisch erhobene Fakten werden als bloße Meinungen dargestellt und Meinungen in Fakten verwandelt. „Ein AfD-Kommunalpolitiker konterte zum Beispiel die Feststellung, es gäbe viel weniger Flüchtlinge in Deutschland, als seine Partei behaupte, mit der heute gängigen Meinung >Es geht hier nicht nur um die reine Statistik, sondern es geht darum wie der Bürger das empfindet< Das heißt also, was man fühlt, ist auch Realität.“[2] Alternative Fakten sind dementsprechend auch keine wirklichen Fakten, sondern gefühlte Realität. Niemand hat sich diese Sichtweise konsequenter zu eigen gemacht, und damit auch erfolgreich Politik betrieben, als Donald Trump. Er bestätigt seinen Anhängern, stets nur das, was sie sich selbst als Wahrheit vorstellen und wer anders denkt, hat eben einfach nur eine andere Meinung. Die Klimakatastrophe ist danach ebenso eine persönliche Meinung, wie die Behauptung, dass sie es gar nicht gibt. Für all und jede Erscheinung gibt es „alternative Fakten“ aber keine richtigen oder falschen Tatsachen.
Vor der Erfindung des Internet hätten derart fragwürdige „alternative Fakten“ keinerlei Aussicht auf politische Wirksamkeit gehabt, weil die Qualitätsmedien solch abenteuerliche Beweisführung im Nu zerrissen hätten. Heute aber verbreiten sich „alternative Fakten“ in den sozialen Netzen, wo sich Gleichgesinnte gegenseitig ihre vorgefasste Weltsicht bestätigen. Und im Gegensatz zu Stammtischmeinungen, handelt es sich hier nicht um eine überschaubare, räumlich begrenzte Gesinnungsrunde, sondern um Netzwerke in denen sich Hundertausende rund um die Uhr tummeln. Donald Trump braucht weder Zeitungen noch TV-Kanäle, sondern nur ein Handy um via Twitter seinen nach Millionen zählenden Anhängern mitzuteilen was Sache ist. Längst schon kann man nicht mehr von „der Öffentlichkeit“ sprechen, sondern von Filterblasen in denen man sich gegenseitig bestätigt die wirklich geltende Meinung auf seiner Seite zu haben.
„In den sozialen Netzwerken verbreiten sich Fake News besonders gut, da sich erstere in der digitalen Welt zu einer bevorzugten politischen Informationsquelle entwickelt haben. Das liegt zunächst an niedrigeren Kosten, da der Produzent der Fake News hierfür keine eigenen Server betreiben muss. Zum anderen verhindert diese Tatsache aber auch die Weitergabe von oft notwendigem Hintergrundwissen und damit die Überprüfung ihres Wahrheitsgehalts. In einer 2018 in Science veröffentlichten Studie wurden mehr als 4,5 Mill. von Twitter zur Verfügung gestellte Tweets von ca. 3 Mill. Usern zu rund 126 Tsd. verschiedenen Nachrichten aus den 7 Themenbereichen Politik, moderne Sagen, Wirtschaft, Terrorismus, Wissenschaft, Unterhaltung und Naturkatastrophen über einen Zeitraum von 11 Jahren ausgewertet. Die Wissenschaftler kommen zu der Erkenntnis, dass sich falsche, vorwiegend politische Informationen auf Twitter mit wesentlich größerer Reichweite und Geschwindigkeit verbreiten als wahre Informationen.“[3]
[1] Roger Köppel: "Editorial: Hat Amerika die Wahl zwischen Pest und Cholera?", in: Weltwoche, Nr. 40, 2016 (http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2016-40/artikel/trump-die-weltwoche-ausgabe-402016.html, abgerufen: 25.2.2017)
[2] Claudia von Laak: "Gefühlte Realität"; in: Deutschlandfunk, 14.9.2016 (http://www.deutschlandfunk.de/afd-wahlkampf-in-berlin-gefuehlte-realitaet.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Fake_News