Harald Werner - Alles was links ist
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Deutschland ist

ärmer

geworden…    

Obwohl der Bericht der Bundesregierung nicht nur eine Zunahme der Armut, sondern auch des Reichtums ausweist, ist das Land insgesamt sogar ärmer geworden, weil die Zahl der abhängig Beschäftigten, der Arbeitslosen und der Rentner für die Statistik natürlich weitaus gewichtiger ist, als die Zahl der Reichen.  So ist das preisbereinigte und nach Bedarf gewichtete Nettoeinkommen der privaten Haushalte (Nettoäquivalenzeinkommen) von 2002 auf 2005 von durchschnittlich 19.255 auf 18.778 Euro oder um 2,5 Prozent gesunken. „Dabei war der Rückgang in Ostdeutschland ausgeprägter als in Westdeutschland“ (S.17 des Berichts) Dieser Rückgang spiegelt sich auch in der Armutsgrenze wider (weniger als 60 Prozent des Median-Wertes der nach Haushaltsgröße gewichteten Einkommen). Wurde sie im 2. Armutsbericht noch mit monatlich 938 Euro angegeben, liegt sie im jetzigen Bericht bei 781 Euro. Verantwortlich für das Sinken der Netto-Haushaltseinkommen, zu denen sämtliche Haushalte gehören, sind vor allem die sinkenden Arbeitseinkommen, die im genannten Zeitraum sogar um 4,7 Prozent abnahmen. Wobei der Rückgang der Arbeitseinkommen vor allem auf das Wachstum des Niedriglohnsektors zurückzuführen ist. 2005 waren hier 36,4 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigt.

… aber einige wurden sehr viel reicher

Der Bericht der Bundesregierung hält sich mit Daten über den erheblich gewachsenen Reichtum außerordentlich zurück. So sucht man zum Beispiel vergeblich nach Angaben über die Zahl der Vermögens- oder Einkommensmillionäre und die enorme Zunahme der Geldvermögen privater Haushalte. Immerhin kann man erfahren, dass das obere Zehntel der Gesellschaft 1998 bereits 44 Prozent aller Vermögen besaß und diesen Anteil bis 2002 auf 56 Prozent steigern konnte. Gleichzeitig sank der Anteil der unteren 50 Prozent aller Haushalte von vier auf zwei Prozent. Dass nur zehn Prozent der Gesellschaft mehr als die Hälfte aller Vermögen besitzen, und die Hälfte der Gesellschaft gerade einmal zwei Prozent, wird vom Reichtumsbericht der Bundesregierung kommentarlos übergangen. Überhaupt wird die Verteilung zwischen Arm und Reich in dem 363 Seiten umfassenden Bericht auf nur achte Seiten abgehandelt. Die öffentliche Debatte über die Maßlosigkeit der Spitzenmanager wird auf nur eineinhalb Seiten abgehandelt und auf reale Zahlen wurde zu Gunsten einer wenig präzisen Kurve verzichtet.

Die Kehrseite

Die Kehrseite der Vermögenskonzentration ist Überschuldung. Der mit Abstand wichtigste Grund dafür ist Arbeitslosigkeit (29,6 Prozent), gefolgt von Trennung/Scheidung/Tod (13,1 Prozent) und gescheiterter Selbstständigkeit (10,3 Prozent). Wobei sich im letzt genannten Grund die Ich-AG´s und andere gescheiterte Maßnahmen zur „Erhöhung der Selbstständigkeit“ widerspiegeln dürften. 80 Prozent der von Überschuldung betroffenen und aussagebereiten Personen gaben an krank zu sein, wobei am häufigsten (40 Prozent) psychische Erkrankungen genannt werden. Von den Befragten haben 65,2 Prozent vom Arzt verschriebene Medikamente aus Geldmangel nicht kaufen können und 60,8 Prozent haben aufgrund ihrer Überschuldung keinen Arzt aufgesucht.  Wie gleichzeitig der Teil über den Gesundheitszustand der Bevölkerung zeigt, stellen die mehr als ein Jahr Arbeitslosen die weitaus größte Gruppe unter den Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen.

Fehlerhafte Diagnose – falsche Therapien

Wie seit Jahren wird auch im vorliegenden Bericht Armut und Arbeitslosigkeit vor allem auf Bildungsdefizite zurückgeführt, ohne zu berücksichtigen, dass dieses unbestreitbare Zusammentreffen nicht die Ursachen beschreibt, sondern lediglich beweist, dass die ökonomisch verursachte Armut und Arbeitslosigkeit als erstes die gering Qualifizierten trifft. Dass ein höheres Bildungsniveau keine Beschäftigung bringt, zeigt vor allem die Entwicklung in Ostdeutschland. Obwohl hier das Bildungsniveau deutlich höher ist, und das auch bei den jüngeren Jahrgängen, hat Ostdeutschland die höchsten Arbeitslosenquoten, die niedrigsten Einkommen und den kleinsten Anteil am privaten Vermögen. Die sehr umfangreich referierten Anstrengungen der Bundesregierung zur Anhebung der Qualifikation sind zwar richtig, können aber die Probleme der wachsenden Einkommens- und Vermögensungleichheit, wie das Beispiel Ostdeutschland beweist, offenbar nicht beseitigen.

Ebenso fehlerhaft ist die Diagnose zur Steuerpolitik. Der Bericht erwähnt, dass das oberste Zehntel der Erwerbstätigen 52,1 Prozent der Einkommensteuerlast trägt, während die unteren 50 Prozent der Erwerbstätigen nur sechs Prozent dazu beitragen. Allerdings fehlt es an realen Angaben über deren tatsächliche Steuerbelastung, weil die Verbrauchssteuern, insbesondere die Mehrwertsteuer, nur nebenbei erwähnt aber nicht mit Zahlen ausgewiesen werden. Dementsprechend kann man sich nur darüber wundern, mit welcher Energie insbesondere Union und FDP die Lösung der sozialen Ungleichheit mit Senkung der Lohnsteuer beikommen wollen. Die Armen und vor allem auch die trotz Vollzeitarbeit unter der Armutsschwelle lebenden Menschen zahlen überhaupt keine Steuern auf das Einkommen, sind aber am stärksten durch die von der Großen Koalition beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer betroffen. Das eigentliche Problem ist das Absinken der Löhne, dem nicht durch Steuersenkungen, sondern nur durch Lohnerhöhungen beizukommen ist. Die dafür erfolgreichste Therapie wäre die Einführung eines allgemein geltenden gesetzlichen Mindestlohnes.

Die Grenze der Lächerlichkeit überschreitet die im Bericht genannte Therapie zum „Vermögensaufbau“. Erstens weil sie nur 12 Zeilen umfasst und sich zweitens darin erschöpft „das Wissen der Bevölkerung um Produkte und Risiken im Finanzdienstleistungsbereich“ zu erhöhen. Es bleibt ein Geheimnis des Bundesministers für Arbeit und Soziales, wie die untere Hälfte der Gesellschaft, die nicht einmal zwei Prozent aller Vermögen besitzt, sich durch „besseres Wissen“ aus dieser Lage befreien soll.

Harald Werner 20. Mai 2008


[angelegt/ aktualisiert am  21.05.2008]