Harald Werner - Alles was links ist
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Mein 13. August

Am 13. August 1961 klirrten in meiner Dahlemer Wohnung mehrfach die Gläser, weil draußen auf der Königin-Luise-Straße  amerikanische Patton-Panzer mit irrsinniger Geschwindigkeit über das Kopfsteinpflaster donnerten. Es war der Beginn eines Nervenkrieges, der jeden Moment in einen wirklichen umzuschlagen drohte. Kein Berliner, ob im Osten oder Westen, konnte damals, am Anfang der 60er Jahre, mit der Lage in der Stadt glücklich werden. Und das nicht nur wegen des Mauerbaus.

Bis wenige Monate vor dem 13. August 1961 arbeitete ich als Stahlbauschlosser in verschiedenen Westberliner Betrieben und hatte guten Grund, die Situation ausweglos zu finden. Neben mir schweißten und nieteten Kollegen aus Ostberlin, die zwar formal den gleichen Tariflohn verdienten, aber einerseits anders bezahlt wurden und andererseits deutlich besser leben konnten. Wenn ich mich richtig erinnere, lag unser Akkordlohn damals bei 2,10 DM. Nur, dass die Ostberliner lediglich 60 Prozent in West- und den Rest in Ostmark erhielten. Und da die natürlich schwarz getauschte Ostmark im Schnitt nicht mehr als 20 Pfennig wert war, kostete ein Stahlbauschlosser aus dem Ostsektor nicht 2,10 DM in der Stunde, sondern nur 1,43 DM. Und trotzdem war dieser unfreiwillige Niedriglöhner zu Hause ein Krösus, weil er seine 1,43 im Kurs von etwa 1:5 umtauschen konnte. So kam er auf einen Oststundenlohn von rund acht Ostmark, womit er mindestens das Vierfache seiner Kollegen im Osten verdiente.

Westberlin war damals eine völlig absurde Stadt, weil das Nebeneinander beider Währungen die Ökonomie beider Seiten völlig durcheinander brachte. Im Osten fehlte es an Arbeitskräften, im Westen an Löhnen, die mit der BRD hätten Schritt halten können. Ich weiß nicht mehr, wie wir das damals in der IG Metall diskutiert haben, aber irgendwie konnte man sich einigermaßen helfen, wenn man selber schwarz tauschte und in Ostberlin einkaufte. Was übrigens den typischen Frontstadtcharme begründete, weil alle irgendwie ihr Ding machten und ihrer jeweiligen Obrigkeit eine Nase drehten. Als Ostberliner im Westsektor zu arbeiten war ebenso unerwünscht, wie Westberliner darauf gefasst sein mussten, selbst in der U-Bahn vom  westberliner Zoll erwischt zu werden. Mich haben sie einmal geschnappt, als ich aus Ostberlin Bücher und Wodka einschmuggelte. Und da mein Vater als Beschäftigter des Öffentlichen Dienstes eine Verpflichtung zu unterschreiben hatte, dass weder er noch seine Familienangehörigen im Ostsektor einkaufen, wurden ihm 40 DM Straße aufgebrummt.

Der Westen hat diese verrückte Berliner Ökonomie mit Milliarden subventioniert aber Ostberlin drohte auszubluten, was nicht nur die DDR, sondern auch den Status quo im Systemgegensatz in Frage gestellt hätte. Der Westen wusste das und die Alliierten haben den Mauerbau ebenso akzeptiert, wie sie ihn propagandistisch ausschlachteten. Gelogen haben damals alle – der Westen wie der Osten – aber niemand blamierte sich dabei besser als die SED mit Ihrem „antifaschistischer Schutzwall“. Kein Faschist wollte vom Westen über die Mauer, sondern aus der Gegenrichtung viele DDR-Bürger, weil sie es im Arbeiter und Bauernparadies nicht mehr aushalten oder ohne Wirtschaftswunder nicht mehr leben wollten.

Momentan beklagen viele interessierte Meinungsbildner das mangelhafte Wissen der jüngeren Generation über die DDR, aber das mangelnde Wissen der älteren Generationen über die Geschichte des Kalten Krieges ist sicher nicht minder beklagenswert. Wüssten wir mehr darüber, könnten wir nicht nur die Irrwege und Untaten der DDR, sondern auch die Versäumnisse und Rachegelüste des Westens besser verstehen. Als Ulbricht wenige Wochen vor dem 13.August verkündete, niemand denke daran eine Mauer zu bauen, hat er offensichtlich gelogen, doch als Adenauer schwärmte, wie die Bundeswehr einst mit klingendem Spiel durchs Brandenburger Tor ziehen würde, habe ich ihm geglaubt. Man kann nur froh sein, dass es 1989 nicht die Bundeswehr, sondern feiernde Menschen waren.

Harald Werner, 13. August 08

 


[angelegt/ aktualisiert am  14.08.2008]