Am Anfang sah es so aus, als hätten sich ansonsten gesunde Banken mit einem gefährlichen Virus aus den Sümpfen des US-amerikanischen Immobilienmarktes infiziert, der sich in ihre Depots eingeschlichen hat. Von Leichtsinn war die Rede und von mangelnder Kontrolle. Jetzt zeigt sich allerdings am Beispiel der Hypo Real Estate, dass es sich nicht um einen Virus, sondern um einen genetischen Defekt handelt. Der Immobilienfinanzierer stand nämlich nicht vor der Zahlungsunfähigkeit weil er sich verspekuliert hatte, sondern weil er kein Geld mehr bekam. Zu den zahlreichen, für Normalbürger kaum vorstellbaren Transaktionen der Banken gehört nämlich, dass sie sich gegenseitig Geld leihen, was gegenwärtig kaum noch geschieht, weil jeder seine Kröten für einen denkbaren Ernstfall zusammenhält. So besitzt die Hypo Real Estate eine grundsolide Tochter mit dem Namen Depfa, „die eine Lizenz für das Pfandbriefgeschäft hat“ und deren „geschäftliche Tätigkeit im weiteren Ausbau des Staatsfinanzierungs- und Emissionsgeschäftes in Deutschland“ liegt, wie es auf ihrer Internetseite heißt. Diese mit Staatsanleihen beschäftigte Tochter leiht der öffentlichen Hand zu hohen Zinsen langfristige Kredite und finanziert diese indem sie sich bei anderen Banken kurzfristige und deshalb billige Kredite leiht. Das Geschäft läuft nach der alten Kaufmannsregel: „Billig einkaufen und teuer verkaufen“ Im Fall des Geldhandels klappt dieses Geschäft aber nur, wenn man sich immer wieder neues Geld leihen kann. Doch seit die Banken wie Dominosteine in Reihe kippen, ist dieser Handel plötzlich abgestorben.
Das Problem der Depfa beziehungsweise von Hypo Real Estate, aber auch vieler anderer Banken ist, dass seit der Lehmann-Pleite das Geld für solche Geschäfte ausgegangen ist und viele Institute plötzlich eine Lücke in den Büchern haben und umgehend Insolvenz anmelden müssen, wenn sie kein neues Geld erhalten. Nun haben die Notenbanken bereits einige Hundert Milliarden zusätzlich zur Verfügung gestellt, doch das alles scheint nicht auszureichen, um die Banken wieder flüssig zu machen. Die deregulierten und hoch flexibilisierten Finanzmärkte haben einen so hohen Gelddurchsatz, dass der Motor sofort zu stottern beginnt, wenn sein Betriebsstoff auch nur langsamer fließt. Es ist wie bei einem Schlaganfall, bei dem für einige Gehirnzellen plötzlich die Blutzufuhr unterbrochen wird. Und wie man weiß, ist das nicht nur ein Problem des Gehirns, sondern aller Körperteile, die von den kollabierenden Gehirnzellen gesteuert werden.
Beim Staatsfinanzierer Depfa sind das zum Beispiel Kommunen, die Krankenhäuser oder Länder die Straßen bauen wollen. Bleibt der erwartete Kredit aus, weil beim Geldgeber der Kuckuck zu Hause ist, werden Baustellen stillgelegt, gehen Bauunternehmen pleite und werden Arbeitsplätze vernichtet. Abgesehen davon, dass hoch verschuldete Kommunen selbst in die Zahlungsunfähigkeit geraten und vielleicht keine Gehälter mehr zahlen können. Angesichts dieser Aussichten, von denen niemand weiß, ob sie nicht noch düsterer werden, muss man sich ernsthaft fragen, warum es immer noch so still im Lande ist.
Leider marschiert der Sozialismus nämlich überhaupt nicht, sondern der Staat wird lediglich gemolken um das morbide Finanzkapital zu stützen, was zwar nach herrschender Lehre eine Todsünde, aber immer noch kein Sozialismus ist. Das Mindeste, was jetzt aber geschehen müsste, ist eine öffentliche Debatte nicht nur über die Kontrolle der Finanzmärkte, sondern die Beseitigung jener genetischen Defekte, die das Finanzsystem zu einem dramatischen Risikofaktor machen. Wobei das Wichtigste eben nicht die Kontrolle, sondern der Umbau ist. Und dazu gehört als erstes das Abschmelzen der gewaltigen privaten Geldvermögen in den Händen weniger, weil dieses überakkumulierte Kapital der eigentliche Grund für das Überhandnehmen gewagter Geldgeschäfte ist. Um das zu verändern muss man übrigens nicht Sozialist sein – es reicht ein gesunder Konservatismus und eine Abneigung gegenüber Spekulation und Geldgier.
Harald Werner 30. September 08