Harald Werner - Alles was links ist
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Das

Grundgesetz

ist offen für den

Sozialismus

Verfassungen schreibt man am besten wenn in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ein demokratischer und sozialer Fortschritt erreicht wurde. Das Grundgesetz ist eine solche Verfassung und trägt, trotz aller seiner Veränderungen in den letzten 60 Jahren, immer noch die Spuren eines politischen und wirtschaftlichen Neubeginns. Es ist keine kapitalistische Verfassung, sondern ein für den Sozialismus offenes Gesetzeswerk. Nichts ist in diesem Gedenkjahr für uns wichtiger, als diesen Beweis zu führen.

Als die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat ihre Arbeit aufnahmen, lagen bereits verschiedene Positionen der großen Parteien und auch verabschiedete Landesverfassungen vor, die weit über das hinausgingen, was das 1949 verabschiedete Grundgesetz enthielt. Selbst im Ahlener Programm der CDU findet sich noch antikapitalistische Kritik und die Forderung nach einer neuen Wirtschaftsordnung. Die meisten heute noch geltenden Landesverfassungen garantieren das Recht auf Arbeit oder schreiben wie die Hessische Landesverfassung die Enteignung der wichtigsten Industrien, beziehungsweise ihre öffentliche Kontrolle vor. Es waren Einsprüche der westlichen Besatzungsmächte, die Spaltung Deutschlands und letztlich der Kalte Krieg, die diese teilweise durch Volksabstimmungen angenommenen Verfassungen außer Kraft setzten. Und trotzdem ist das Grundgesetz immer noch von ihnen geprägt. Es bindet das Eigentumsrecht an das die Berücksichtigung des Gemeinwohls (Artikel 14), erlaubt zur Wahrung des Gemeinwohls die Enteignung (Artikel 15) und definiert die BRD als Sozialstaat (Artikel 20).

Wie Adenauer den Weg zum Sozialismus ebnete

Es hat schon eine gewisse Kuriosität, dass ausgerechnet Adenauer die Tür für eine sozialistische Bundesrepublik offen hielt. Als die Adenauer-Regierung 1952 eine Zwangsabgabe der Unternehmen zur Förderung der Montanindustrie verabschiedete, klagten verschiedene Unternehmen beim Bundesverfassungsgericht, gegen diese angebliche Beschneidung ihrer Eigentumsrechte und die Gefährdung ihrer Existenz. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage ab und legte gleichzeitig eine Verfassungsinterpretation vor, die wegen der Endgültig von Verfassungsgerichtsurteilen bis heute gültig ist.[1]

Als erstes entschied das Gericht: Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann. Daher ist es verfassungsrechtlich ohne Bedeutung, ob das Investitionshilfegesetz im Einklang mit der bisherigen Wirtschafts- und Sozialordnung steht und ob das zur Wirtschaftslenkung verwandte Mittel "marktkonform" ist.“[2] Damit wurde eine für alle Mal festgelegt, dass sich der Bundestag für eine andere, als die kapitalistische Wirtschaftsordnung entscheiden kann und deshalb auch Maßnahmen beschließen kann, die mit der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung nicht übereinstimmen. Zweitens wurde aber auch festgelegt, dass nicht die Unternehmerfreiheit durch das Grundgesetz geschützt ist, sondern  ausschließlich die Handlungsfreiheit des Individuums. Der Einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens (… )zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt.“[3]  Wobei das Bundesverfassungsgericht keinen Zweifel daran zuließ, dass die „Eigenständigkeit der Person“ nicht die Eigenständigkeit des Unternehmers betrifft, sonder ausschließlich den „Schutz eines Mindestmaßes menschlicher Handlungsfreiheit, ohne das der Mensch seine Wesensanlage als geistig-sittliche Person überhaupt nicht entfalten kann.“[4] Und niemand wird behaupten können, dass man „seine Wesenanlage als geistig-sittliche Person“ nicht mehr entfalten kann, wenn man die Unternehmerfunktion verliert oder die Unternehmerfunktion durch demokratische Mitbestimmung eingegrenzt wird.

Das Bundesverfassungsgericht sagt übrigens ausdrücklich: „Das Grundgesetz garantiert weder die wirtschaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt noch eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde soziale Marktwirtschaft".[5] Was nichts anderes heißt, als dass die soziale Marktwirtschaft auch durch politische Maßnahmen steuern lässt. Daran muss man immer dann erinnern, wenn soziale Martktwirtschaft mit Marktwirtschaft verwechselt wird.

Natürlich gibt es jede Menge anderer Verfassungsgerichtsurteile, die sich über den Spruch von 1954 hinwegsetzen und etwa die qualifizierte Mitbestimmung für verfassungswidrig erklären. Aber das sind dann Entscheidungen, die im Widerspruch zur Begründung von 1954 stehen und auf die Auslegungsfähigkeit des Grundgesetzes verweisen. Da aber Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, samt ihrer Begründungen, den Rang letztendlicher Entscheidungen haben und die früheren Urteile näher am Willen des Gesetzgebers liegen, als die späteren, können spätere Urteile der Karlsruher Richter getrost als Kapitulationen vor dem Zeitgeist eingestuft werden. Darüber zu streiten lohnt sich, aber es ist ein Streit innerhalb und nicht jenseits des Grundgesetzes.

Die Verteidiger der Verfassung als Verfassungsfeinde

Die Geschichte ist wie ein großes Rad, die sich ständig selbst und ihre eigene Vergangenheit leugnet. So auch die Geschichte des Grundgesetzes. Schon bei seiner Verabschiedung des im ersten Deutschen Bundestag sagte der KPD Abgeordnete Max Reimann, dass seine Partei zwar das Grundgesetz ablehne, weil es die Spaltung Deutschlands vollziehe, betonte jedoch gleichzeitig: „Wir Kommunisten aber werden die im Grundgesetz verankerten wenigen demokratischen Rechte gegen die Verfasser des Grundgesetzes selbst verteidigen.“[6] Diese Aussage sollte sich bestätigen. In den 1970er Jahren begann eine Welle von Berufsverbotsverfahren, wo Zehntausende von Kommunisten zu Verfassungsfeinden erklärt und aus dem öffentlichen Dienst entfernt oder von ihm fern gehalten wurden, weil sie sich nicht nur Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes, sondern auch auf das Investitionshilfeurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1954 beriefen. Der Liedermacher Franz Josef Degenhardt sang damals: „Sie zitieren hier ständig das Grundgesetz. Sagen Sie, sind Sie eigentlich Kommunist.“ Ich selbst wurde im Niedersächsischen Innenministerium anlässlich eines Berufsverbotverfahrens einem siebenstündigen Verhör unterzogen, wo meine Zitierung der Artikel 14 und 15 in Frage gestellt wurde, Es dauerte eine halbe Stunde um ein Exemplar der Verfassung zu beschaffen. Die vernehmenden Juristen mussten mir nach anschließender Lektüre zwar Recht geben, erklärten mich jedoch trotzdem zum Verfassungsfeind. Vielleicht gerade deshalb.

Man darf das Grundgesetz feiern, aber mit Vorsicht

Es wäre absoluter Unsinn, die Feiern zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes als bloße Heuchelei abzutun. Die Feiernden haben allen Grund, diese Verfassung als beachtlichen Fortschritt zu werten. Nicht nur wegen der von mir zitierten Artikel, sondern weil sein Grundrechtsteil, wozu auch diese Artikel zählen, niemals in Frage gestellt werden dürfen, ohne den Anspruch auf eine humane, demokratische und soziale Gesellschaft in Frage zu stellen. Es sollte aber gleichzeitig daran erinnert werden, dass viele der Feiernden bereits dabei sind, diese Verfassung zu beerdigen. Durch den Entwurf einer europäischen Verfassung und nach dessen Scheitern durch den Vertrag von Lissabon. Beide Vertragswerke verzichten nicht nur auf elementare Bestandteile des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, sondern enthalten Zielsetzungen, die ihnen diametral entgegengesetzt sind.

Harald Werner, 16. März 09

 


[1] Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1954

[2] Ebenda

[3] ebenda

[4] ebenda

[5] ebenda

[6] 4 Jahre im Bundestag, Handbuch der Bundestagsfraktion der KPD, 10. Mai 1953, S.33


[angelegt/ aktualisiert am  17.03.2009]