Karl-Heinz Kurras, Beamter der politischen Polizei, „zuständig für Spionage, Überläufer und die Aufdeckung von Ostagenten kooperierte“ laut SPIEGEL „mit dem Landesamt für Verfassungsschutz und den Geheimagenten der amerikanischen, britischen und französischen Kommandanten der Westsektoren.“[1] Er war, wie das Leitblatt meinungsbildender Zeitgeister mitteilt, ein ebenso geld- wie geltungssüchtiger Geheimdienstmann, ein Waffennarr, der vor seinen Kollegen mit dem Todesschuss prahlte, von ihnen gefeiert wurde, für dessen Verteidigung die Polizeigewerkschaft 60.000 DM sammelte und der zweimal vor Gericht freigesprochen wurde. Dieser Typ passte in das aufgehetzte Westberlin der 1960er Jahre ebenso, wie er zur Stasi gehörte. Die räumte „am 8. Juni 1967 intern ein, dass man von dieser "charakterlichen Schwäche" wohl gewusst, sie aber unterschätzt habe.“ Wahrscheinlich haben beide Seiten diesen Mörder „unterschätzt“, wie überhaupt in beiden Teilen Deutschlands das typisch deutsche Erbe in den „waffentragenden Einheiten“ unterschätzt wurde. Am wenigsten übrigens durch die außerparlamentarische Opposition der 1968er.
Mir und vielen anderen Linken war das MfS bereits damals ebenso unheimlich wie BND oder Verfassungsschutz und niemand hätte mich davon abgehalten einen Mord auch als solchen zu bezeichnen. Die Meisten, die 1967 gegen den Mord an Benno Ohnesorg demonstrierten, hatten auch 1962 gegen die Ermordung Peter Fechters an der Berliner Mauer protestiert. Umso unverständlicher finde ich all diejenigen, die jetzt einen Mörder wiederentdecken, den sie 42 Jahre lang für unschuldig erklärten. Geradezu entlarvend erscheint in dem Zusammenhang die Empörung einiger berufsmäßiger Stasi-Jäger, wie etwa Hubertus Knabe, die der Birthler Behörde laute Vorwürfe machen, dass die Akte Kurras jetzt erst in die Öffentlichkeit kommt. Und in der Tat. Der 50. Jahrestag der Ermordung von Benno Ohnesorg hätte ihnen ebenso besser gepasst, wie das vergangene Jahr, als die öffentlichen Meinungsmacher mit der Entsorgung von 1968 befasst waren.
Schon in der Aufarbeitung der RAF-Geschichte wurde der Versuch unternommen, diesen Terror als vom MfS mindestens unterstützte, wenn nicht gesteuerte Aktion zu verkaufen. Jetzt wird von einigen Journalisten die Frage aufgeworfen, die sich unter der Hand zur Behauptung verdichtet, in wie weit der Mord an Benno Ohnesorg nicht zur Destabilisierungsstrategie der DDR gehörte. Auch der SPIEGEL schreibt. „Es war ein Schuss in viele Köpfe, den der Beamte der politischen Polizei aus seiner Dienstpistole auf den Studenten Benno Ohnesorg abfeuerte - der Startschuss für die Studentenbewegung…Was wäre gewesen, hätten die Studenten bald erfahren, dass Kurras in der SED und bei der Stasi war? Wäre ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte ausgefallen?“ Wahrscheinlich nicht, muss er auch selber zugeben, aber hier offenbart sich ein zum Wunsch werdender Gedanke: 1968 war ein Irrtum, weil die Protestierenden vom falschen Gegner ausgingen. „Wie Vollstrecker des Weltgewissens fühlten sich die 68er, wie Partisanen einer neuen Weltordnung, die von Frieden, Liebe und Gleichheit zusammengehalten wird,“ höhnt der SPIEGEL und schlussfolgert: „Ein Teil der deutschen Linken hätte sich wohl kaum der DDR und ihrer westdeutschen Partei DKP zugewandt.“ Vielleicht hätten das viele nicht getan, wenn sie mehr gewusst hätten, weniger wegen der Stasi-Spitzel in westdeutschen Geheimdiensten, sondern wegen der Stasi-Verbrechen im eigenen Land. Auch wurden die wenigsten nicht wegen der DDR, sondern trotz DDR Mitglied einer Partei, die wahrscheinlich mindesten so viele ehemalige KZ-Häftlinge zählte, wie die CDU alte Nazis. Es gab genügend Gründe mit dem eigenen Land, seiner Gesellschaftsstruktur, und der Rolle alter Nazis in Regierung und Wirtschaft unzufrieden zu sein. Es war die Parteinahme des Landes für den dreckigen Krieg in Vietnam, die Kumpanei mit den Diktatoren in Spanien, Portugal und in Griechenland, der CIA-Putsch gegen das demokratische Chile und vieles mehr, was die DDR, wenn schon nicht als das bessere Deutschland, so aber als das kleinere Übel erscheinen ließ.
Und woran am 60.Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes auch erinnert werden darf, das sind die nach Zehntausenden zählenden Strafverfahren und Inhaftierungen von Kommunisten, von denen viele bereits unter Hitler im KZ gesessen hatten und denen man ihre Rentenansprüche verweigerte, während Hitlers Blutrichter nicht nur ungeschoren blieben, sondern wieder über Kommunisten urteilten oder komfortable Pensionen kassierten. Die Liste dieser Motive ist lang.
Leider ist die Geschichte nicht so einfach, wie sie gerade in diesem Jahr gemacht werden soll – und sie war es noch nie. Die Kritiker des Bestehenden hatten noch immer damit zu kämpfen, dass sie mit den gescheiterten Versuchen, den Irrtümern und auch den Verbrechen früherer Revolutionen konfrontiert wurden. Nur in einem waren sie wahrscheinlich schon immer weiter – sie mussten diese Widersprüche schmerzlich aufarbeiten.
Harald Werner 25. Mai 09
[1] DER SPIEGEL, 25. Mai 2009