Die SPD hat ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Gründung der BRD erzielt und teilt dieses Schicksal mit der CSU, die aber mit der CDU auf dem Siegertreppchen steht, obwohl auch sie ihr zweitschlechtestes Ergebnis einfuhr. Aber selbst die Sozialdemokratie demonstriert gerade in Thüringen, wie sich aus Verlusten Gewinne machen lassen. Überall werden momentan Verliererkoalitionen gebildet, erst in Sachsen und jetzt in Schleswig-Holstein und Thüringen. Wie es in Brandenburg und im Saarland ausgeht ist zwar offen aber auch hier steht die Wahl von arg gebeutelten Ministerpräsidenten an. Sie sind alle noch einmal davongekommen, aber mit Sicherheit zum letzten Mal. Die Erosion der ehemaligen Volksparteien dauert ja schon etwas länger an und man darf vermuten, dass es die Wählerinnen und Wähler nicht verschmerzen werden, was aus ihren Stimmen gemacht wurde. Natürlich ist die Vergesslichkeit des Wahlvolks groß aber so groß nun wieder doch nicht, dass sie die Wirkungslosigkeit ihrer Stimmabgabe vergessen. So werden das nächste Mal noch mehr zu Hause bleiben als diesmal. Zu den Verlierern dieser Wahl gehört dementsprechend auch das parlamentarische System und wenn auch viele Koalitionäre, die gerade noch einmal davon gekommen sind, ihr rettendes Bündnis wie in Thüringen als Ausdruck der Stabilität verkaufen mögen, es wird die Demokratie weiter destabilisieren. Und das ist etwas, wovon die LINKE am wenigsten profitieren dürfte. So lange sich die bürgerliche Herrschaft nicht nur auf die Macht des großen Geldes stützt, sondern fast mehr noch auf die Politikverdrossenheit der Habenichtse, kann die LINKE wenig ausrichten. Ja, sie wird an Einfluss verlieren, wenn Lethargie und Politikverdrossenheit zunehmen. Heute müssen die Linken, und das gilt auch für Sozialdemokraten, weniger das Erstarken einer extremen Rechten fürchten, als eine sehr viel näher liegende Berlusconisierung.
Die Wahlergebnisse des Jahres 2009 mögen noch so viel Unübersichtlichkeit geschaffen haben, sie haben aber auch für Klarheit gesorgt. Wenn die FDP das beste Wahlergebnis seit 1949 erreicht und eine links von der SPD stehende Partei ebenfalls, dann treten hier die gesellschaftlichen Gegensätze dieses Landes stärker zu Tage, als es das Wahlergebnis als Ganzes tut. Tatsächlich sind FDP und LINKE nicht nur die eigentlichen Wahlsieger, sie sind auch der schärfste Ausdruck der bestehenden gesellschaftlichen Gegensätze. Die einen wollen die Besserverdienenden entlasten, die anderen wollen, dass diese die Lasten der Krise bezahlen. Die FDP will mehr Markt, die LINKE mehr Kontrolle und während die Liberalen die Bundesagentur für Arbeit abschaffen wollen, will die LINKE Hartz IV abschaffen. Irgendwie können in diesem Lande fast alle miteinander regieren, aber FDP und LINKE machen jede Regierung der sie angehören zu einem Lager. Dahinter verbirgt sich freilich kein Niedergang der Volksparteien, wie viel Beobachter meinen, sondern ein Niedergang ihrer Beliebigkeit. Das bürgerliche Lager bestraft die Union für ihre Sozialdemokratisierung, während die SPD jetzt die Rechnung für ihren Flirt mit der Mitte bekommt und beide stehen vor der Frage, was daraus zu lernen ist. Die Union hat sich spät, dann aber mit aller Entschlossenheit für eine bürgerliche Regierung entschieden aber die SPD ist noch weit davon entfernt, die Zuspitzung der gesellschaftlichen Gegensätze zu erkennen, geschweige denn sich darauf einzurichten. Sie wird es auch schwerer haben. Denn die Union wiederholt mit Schwarz-Gelb eine bundesdeutsche Normalität, während die SPD vor einer außerordentlich ungewöhnlichen Aufgabe steht, wenn sie sich für eine links von ihr stehende Partei erwärmt. Sie muss auf diesem Weg nicht nur ihr antikommunistisches Erbe abschreiben, sondern auch die in der Mitte angeblich auf sie wartenden Wählerschichten.
Der von der FDP aufgemachte Wunschkatalog liest sich, als wollte sie eine Abrissgenehmigung für die Reste des Sozialstaates einholen. Im Grunde genommen ist der Katalog aber weniger grausam als grotesk, weil seine neoliberale Symbolik der Vergangenheit angehört. So ist etwa die geforderte Lockerung des Kündigungsschutzes reine Nachtrabpolitik, weil da erstens nicht mehr viel zu lockern ist und zweitens selbst marktradikale Ökonomen nicht mehr glauben, dass damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Nicht anders verhält es sich mit der Steuersenkungslyrik. Die besserverdienenden FDP-Wähler mögen sich darauf freuen, aber außer den Herren Westerwelle und Seehofer hält das kein Steuer- oder Haushaltsexperte für möglich. Der Neoliberalismus von Kohl und Schröder war ein Drama, der von Westerwelle wird zu einer Farce werden, wenn er mit den Realitäten der Krise zusammenstößt. Großoperationen wie die Privatisierung der Arbeitsvermittlung oder die Abschaffung des Gesundheitsfonds werden dabei schnell von der Agenda verschwinden. Soziale Graumsamkeiten durch Leistungskürzungen oder höhere Selbstbeteiligung wird es trotzdem geben, aber die hätte die Große Koalition auch begangen. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass es dem Genossen Sachzwang wesentlich leichter gefallen wäre, die Gewerkschaften ruhig zu halten, als es Frau Merkel gelingen dürfte.
Überhaupt wird die schwarz-gelbe Koalition größeren Belastungen ausgesetzt sein als die vergangene, und das nicht nur von außen, sondern vor allem im Innern. Dafür werden nicht nur Westerwelle und Seehofer sorgen, denn die Schwindsucht der Union ist gut für Richtungskämpfe, die Merkel bislang mit Erfolg aussitzen oder durch das Kaltstellen der Landesfürsten überleben konnte. Keine guten Voraussetzungen also für Schwarz-Gelb. Erst recht nicht wenn sich die Verluste der Union bei den Wahlen in NRW fortsetzen sollten, und dafür spricht viel.
Schon in der ersten Woche nach den Wahlen schien es, als würde die SPD nach links rücken und mit Riesenschritten auf Rot-Rote Bündnisse zugehen. Thüringen war der erste Dämpfer für diese Hoffnungen und weitere dürften folgen, wenn sich die neue Führung erst etabliert hat. Wer immer die SPD führt muss einen Spagat zwischen ihren verschiedenen Flügeln machen und der linke ist darunter nicht der stärkste. Problematischer scheint mir, dass selbst eine Linksverschiebung n der SPD nicht etwa neue Gemeinsamkeiten mit der LINKEN produziert, sondern zunächst einmal die Konkurrenz vertieft. Steinbrück hatte Recht damit, als er vor einem Überbietungswettbewerb mit der LINKEN warnte, aber den genau wird es geben. Weniger auf der politisch-programmatischen Ebene, als im Kampf um politischen Einfluss. Wenn die SPD gut betraten ist, wird sie alle ihre Möglichkeiten ausspielen, um die Deutungsmacht für die Opposition gegen Schwarz-Gelb zu erobern. Zumindest ihre Möglichkeiten dazu sind größer als die der LINKEN. Sie hat einen anderen Zugang zu den Medien, auch zu den Gewerkschaften und kann vor allem deutlich mehr Truppen mobilisieren. Mit noch einer halben Million Mitgliedern ist sie der LINKEN deutlich überlegen, was sich schon darin ausdrückt, dass bei der Bundestagswahl auf ein SPD-Mitglied nur 18 Wählerinnen und Wähler kamen, während das Verhältnis bei der LINKEN 1 zu 70 beträgt. Der Überbietungswettbewerb dürfte sich dementsprechend ganz anders darstellen, als es Steinbrück befürchtete. Die LINKE muss also nicht nur kräftig an Mitgliedern gewinnen, sie wird sie auch besser auf die Konkurrenz mit der SPD vorbereiten müssen.
Harald Werner 1. Oktober 09