Harald Werner - Alles was links ist
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Wie die Mauer im ZK bröckelte

In Wahrheit begann die Mauer bereits am 18. Oktober 1989 zu bröckeln, als das Zentralkomitee der SED Erich Honnecker und mit ihm Günter Mittag und Joachim Herrmann in die Wüste schickte. Dieser Entmachtung war die Leipziger Montagsdemo am 9. Oktober vorausgegangen, bei der sich erstmals SED-Bezirksekretäre auf die Seite der Demonstranten stellten und zwei Tage später eine ZK-Erklärung, in der völlig ungewohnte Töne angeschlagen wurden: „Es lässt uns nicht gleichgültig, wenn sich Menschen, die hier arbeiteten und lebten, von unserer Deutschen Demokratischen Republik losgesagt haben. Die Ursachen für diesen Schritt mögen vielfältig sein. Wir müssen und werden sie auch bei uns suchen.“

Tatsächlich war das Grenzregime nicht mehr aufrechtzuerhalten, nach dem die Partei- und Staatsführung in den Wochen zuvor über 10.000 Botschaftsflüchtlingen in Prag und Warschau die legale Ausreise bewilligt hatte und die ungarische Grenze nach Österreich praktisch offen war. Die Mauer war zu einer Farce geworden. Folglich wurde fieberhaft an einer Reiseregelung gearbeitet, die sowohl die Ausreise aus der DDR, wie auch den Tourismus normalisieren sollte. Walter Momper war nicht der einzige westdeutsche Politiker, der davon unterrichtet war, auch der NRW-Ministerpräsident Rau wusste davon , denn die DDR stand mit der Maueröffnung vor einem ganzen Bündel von Problemen, die sie ohne Unterstützung des Westens nicht lösen könnte. Und der Westen begann sich vorzubereiten.

Am 26. und 27. Oktober tagen die westdeutschen Ministerpräsidenten in Düsseldorf und beraten, wie mit einer massiven Ausreisewelle aus der DDR umgegangen werden soll. Momper erinnert sich, dass „sich die Kollegen aus den Ländern sehr beunruhigt über den anschwellenden Strom von Zuwanderern“ zeigten. Und während sich die DDR auf die Öffnung der Grenzen vorbereitete, beschäftigten sich die westdeutschen Ministerpräsidenten mit „Vorschlägen zur Einschränkung der Freizügigkeit“ von DDR-Bürgern. Man erwog ernsthaft den „Zugang in das Bundesgebiet zu erschweren, wie Momper schreibt. Der warnt jedoch eine solche Absicht überhaupt zu diskutieren, weil schon das Gerücht eine „Eskalation der Massenwanderung von Ost nach West“ auslösen würde. Ähnliche Probleme hatte man natürlich auch im Osten, so dass ein Reisegesetz gebastelt wurde, das eine Visumpflicht enthielt.

Doch das am 6.November veröffentlichte Gesetz stößt in der Öffentlichkeit nicht nur auf Enttäuschung, sonder auf Hohn. Zwei Tage später tagen erneut die 165 Mitglieder und 57 Kandidaten des Zentralkomitees, um den internen Reformprozess voranzutreiben. Die 17 Mitglieder des Politbüros, des eigentlichen Machtzentrums, treten zurück und Krenz präsentierte eine neue Mannschaft, in der die alte Riege fast vollständig fehlt. Nebenbei geschieht, von Krenz auf den Dienstweg gebracht , was DER SPIEGEL 20 Jahre später als Irrtum bezeichnet. Im Apparat wird eine neure Reiseregelung ausgearbeitet, die jedem DDR-Bürger die bedingungslose und sofortige Ausreise gestattet. Der Entwurf ist 19 nur Zeilen lang und wird von Krenz in der ZK-Sitzung wie ein endgültiger Beschluss vorgelesen, obwohl weder das vollständige Politbüro noch alle Minister zugestimmt haben. Selbst Schabowski, der die Erklärung wenige Stunden später der internationalen Presse vorstellen soll, kennt ihren Inhalt nicht, als ihm Krenz den Zettel zusteckt. Deshalb kommt es zu seinem bis heute irritierenden Presseauftritt. Nach dem Schabowski lange und recht allgemein über Reiseerleichterungen geredet hat, sagt er plötzlich: „Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“ Als sich die Nachfragen der Journalisten überschlagen, kommt er ins Stocken, greift in die Jackentasche und sagt: „Also, Genossen es ist uns mitgeteilt worden, dass eine solche Mitteilung heute schon verbreitet worden ist. Sie müsste eigentlich in ihrem Besitz sein.“ Aber die „Genossen“ Journalisten der Weltpresse hatten nichts vorliegen und Schabowski kannte den Text nicht, den Krenz ihm zugesteckt hatte. Und da geschah der einzige Irrtum in dieser Angelegenheit. Schabowskis gab auf Nachfrage an, dass diese Regelung ab sofort gilt obwohl sie erst am nächsten Tag in Kraft treten sollte. Als Krenz von Mielke drei Stunden später informiert wird, was im Fernsehen gesendet wurde, sagt Krenz nur: „Wir werden wegen ein paar Stunden, morgen sollten die Grenzübergangsstellen ohnehin geöffnet werden, nicht eine Konfrontation mit der Bevölkerung riskieren. Also, hoch mit den Schlagbäumen.“ Doch die ersten hatten sich bereits geöffnet, weil auch die Grenzposten keine Konfrontation riskieren mochten.

Niemand kann bezweifeln, dass der 9. November den Höhepunkt der friedlichen Revolution bildete und kaum jemand wird glauben, dass die SED-Führung die Mauer ohne den vorher in der Bevölkerung aufgestauten Zorn geöffnet hätte. Sie handelte unter Druck, aber sie handelte friedlich. Wann schon hat sich eine Diktatur von Menschen mit Kerzen in der Hand zu einem friedlichen Wandel zwingen lassen? Dieses Bild passt eben so wenig zum Bild der SED-Diktatur, wie führende SED-Funktionäre, die den Dialog mit den Demonstranten suchen, den „Klassenfeind“ von der Öffnung ihrer Grenzen informieren und die Sicherheitskräfte in die Kasernen verbannen. Dieses Bild passt auch nicht zu einer Politik, die es noch nach 20 Jahren für eine Katastrophe hält, wenn ehemalige Kommunistinnen und Kommunisten in der ehemaligen DDR Ministerämter übernehmen. Denn eine differenzierte Sicht auf den 9. November ´89 würde einschließen, dass es unter den rund zwei Millionen SED-Mitgliedern nicht wenige gab, die die friedliche Revolution überhaupt erst möglich machten und noch mehr, die unter den Demonstranten waren. Legenden, wie die von SPIEGEL und Berliner Morgenpost sind unverzichtbar, um vor allem eines dem erinnerungslosen Vergessen auszuliefern, dass nämlich die SED-Diktatur auch aus ihrem Inneren her zum Einsturz gebracht wurde.

 

Momper a.a.O. S.97

Ebenda S.98

Egon Krenz, Herbst ´89, Berlin 1999, S.230

 

 

Harald Werner 6. Oktober 09

 

 


[angelegt/ aktualisiert am  09.11.2009]