Ein US-amerikanischer Ökonom, ich glaube es war Thurow, hat einmal geschrieben, dass der Sozialstaat der Preis dafür ist, dass uns die Armen nicht totschlagen. Nun ist der Sozialstaat am Ende, die Welt gerät aus den Fugen, das Ökosystem auch und wer intelligent genug ist, muss sich fragen, wie man mit dieser Bedrohung fertig wird. Im Mittelalter konnten sich die Reichen von der Kirche einen Ablass kaufen, damit sie trotz Reichtum ins Paradies einziehen konnten. Diese Tröstung steht heute nicht mehr zur Verfügung, weshalb sich direkte Investitionen, also Spenden anbieten.
Offensichtlich haben die Milliardäre eine ethisch-moralische Marktlücke entdeckt, denn auch hierzulande, wo über Jahre an die Reichen Milliarden an Steuergeschenken ausgereicht wurden, wird zunehmend über die Spendenmöglichkeit diskutiert. Nicht überraschend übrigens, denn sowohl die Liechtensteiner und Schweizer Schwarzgeldkonten, als auch die Unverschämtheit der ganz legalen Spekulanten, haben Sorge über soziale Unruhen oder mindestens eine neue Politik der Umverteilung aufkommen lassen. Allerdings sollte man bei dieser Gelegenheit einige weiterführende Fragen in die Debatte bringen.
Zum Beispiel, woher dieser Reichtum stammt. Nehmen wir die Reichsten, wie etwa die ALDI-Milliardäre, bei denen zu fragen wäre, wie viel von ihrem Reichtum geblieben wäre, hätten sie ihre Beschäftigten ordentlich bezahlt und sich natürlich auch angemessen an der Finanzierung des Sozialstaates beteiligt. Gut und schön, wenn sie dem nicht ganz so reichen Teil der Gesellschaft billige Konsumartikel bereit stellten, aber brauchen diese Menschen nicht auch Schulen, Schwimmbäder und nicht zuletzt medizinische Vorsorge?
Nur wer den hier zur Debatte stehenden Reichtum als Ausdruck eigener Arbeitsleistung betrachtet, kann sich der Illusion hingeben, dass die Milliardäre etwas verschenken, was ihnen naturgemäß gehört. Die Milliarden gehören ihnen, weil sie sich die Ergebnisse anderer Menschen Arbeit, beziehungsweise die Gratiskräfte von Natur und Gesellschaft aneignen konnten. Deshalb stellt sich die Frage, was dies für Machtverhältnisse sind, die diese Aneignung möglich machen. Wobei man zwangsläufig bei der Politik landet, die das zulässt. Eigentlich muss sich die politische Elite von den spendenwilligen Milliardären blamiert fühlen. Erst schafft sie die denkbar günstigsten Rahmenbedingungen für das Wachstum der Milliardenvermögen, demontiert dafür gleichzeitig den Sozialstaat, und dann kommen diese undankbaren Milliardäre, mit Subventionen und Steuergeschenken Verwöhnten, entwickeln Empathie für die Menschheit und verschenken bereitwillig, was man ihnen zugestanden hat. Mit Ausnahme der LINKEN müssten sich alle Bundestagsparteien – wirklich alle – tief beschämt fühlen.
Natürlich ist das, was ich hier schreibe, zutiefst ideologisch und eigentlich sollte ich froh sein, dass einige Superreiche mit ihrem überdimensionierten Vermögen Gutes tun wollen, statt sich einen neuen Privatjet, eine Insel in der Südsee oder die dazugehörige Luxusyacht zuzulegen. Bin ich auch, aber eine Lösung scheint mir das nicht zu sein. Im Gegenteil, wir krebsen damit zurück ins Mittelalter, in vormoderne, ja undemokratische Zeiten. Wollen wir es demnächst dem Geschmack der Reichen überlassen, wer ein würdiger Armer ist, wo Krankenhäuser und Schulen gebaut werden, welche Wissenschaft gefördert wird und welche nicht? Sofern man Demokrat ist, dürfte das einem ein Graus sein.
Harald Werner August 2010