Harald Werner - Alles was links ist
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Eine unheilvolle Verquickung globaler Krisen

Die Verquickung des bisher größten Erdbeben Japans mit einem bislang unvorstellbaren Tsunami und einem danach eintretenden Atomunfall reichen bereits aus, um an Horrorscenarien zu denken, die bislang nur Hollywood produzierte. Libyen rückt dabei bereits auf die Innenseiten der Tagespresse, obwohl sich in den arabischen Staaten gerade eine Kettenreaktion entwickelt, die ebenso unbeherrschbar scheint wie die Kernschmelze in Fukushima. Und vergessen wir nicht: Unbeherrscht sind nach wie vor auch die Finanzmärkte und die drohenden Staatsbankrotte der EU. Die automatischen Stabilisatoren der Märkte scheinen ebenso zu versagen, wie sich das globale Immunsystem als unfähig erweist, eine solche Verquickung unterschiedlichster Bedrohungen politisch zu beherrschen.

Was aber versagt hier und warum? Zieht man den äußeren Vorhand dieser so unterschiedlichen Krisen bei Seite, dann verbirgt sich dahinter ein sich selbst überlassener Kapitalismus, unbeherrschbar durch Politik und zügellos nichts anderem folgend, als der Erschließung neuer Profitquellen. Der Jagd nach Energie und Rohstoffen sind keine Grenzen gesetzt und sein Weg ist nicht nur von brennenden Ölplattformen und explodierenden Reaktoren gesäumt, sondern auch von an den Rand ihrer Belastbarkeit getriebenen Nationen, von zunehmendem sozialen Elend und von Rebellionen derjenigen Bevölkerungen, die auf ihren Flachbildschirmen verfolgen können, dass sie vom globalen Tanz ums goldene Kalb hoffnungslos ausgeschlossen sind. Wer hier kein zahlungsfähiger Marktteilnehmer ist, ist zum Abstieg verdammt. Die gebeutelten griechischen Arbeiter ebenso wie die arbeitslosen Jugendlichen in Ägypten.

All das wäre noch beherrschbar, wenn es so etwas wie ein globales Regelwerk gäbe, das dieser kapitalistischen Globalisierung Nachhaltigkeit abverlangen, ökologische Verträglichkeit vorschreiben und sozialen Ausgleich organisieren könnte. Doch einen solchen Kapitalismus, wie er in besten Zeiten noch im reichen Westen existierte, gibt es bei uns schon lange nicht mehr und hat es im größeren Teil der Welt nie gegeben. Gegenüber dem Irak, Afghanistan, Libyen und Bahrein sind die kapitalistischen Marktgesellschaften ebenso hiflos, wie die Kraftwerksbetreiber von Fukushima, die eine Kernschmelze mit Wassersäcken zu vermeiden suchen.

 

„Die Kernschmelze des Kapitalismus“

Es ist nicht ohne Ironie, dass diese Überschrift aus der Financial Times Deutschland vom 16. März stammt. Der Grund ist, dass sich die ökonomische Elite momentan weniger vor unbeherrschbare Kernreaktoren fürchtet, als vor einer außer Kontrolle geratenen Finanzwelt. Die atomare Wolke aus Fukushima wird uns wahrscheinlich nicht erreichen aber die ökonomischen Schockwellen schon. Im ersten Anlauf hat sie in Japan eine Drittel Billion Euro vernichtet, die Marktkapitalisierung europäischer Konzerne verlor 178 Milliarden und da Japan sofort einige Hundert Milliarden benötigt, um mit den Folgen der Katastrophe fertig zu werden, verkaufen die Japaner ihrer ausländischen Werte, was vor allem die europäische und US-amerikanische Wirtschaft in die Rezession treiben kann. Und als wäre dies alles nicht schon schlimm genug, heizen diese Unstabilität natürlich die Spekulationen an. Die Finanzmärkte sind eben nicht nur unfähig für Stabilität oder sogar für Ausgleiche zu sorgen, sondern sie, beziehungsweise die Anleger, tun das Gegenteil: Sie produzieren neue Krisen.    

Der FTD-Kolumnist Wolfgang Münchau, der sich weniger mit schmelzenden Brennstäben, als mit versagenden Marktmechanismen beschäftigt, schließt deshalb mit dem prophetischen Satz: „Wenn wir das alles überstanden haben, vielleicht am Ende des Jahrzehnts, wird sich unser kapitalistisches System von Grund auf geändert haben.“ Was ihn zu der optimistischen Feststellung veranlasst, dass der Kapitalismus dazu in der Lage ist, bleibt allerdings im Unklaren.

Harald Werner 16.März 2011


[angelegt/ aktualisiert am  17.03.2011]