Wenn die privaten Geldvermögen stärker steigen als die Arbeitseinkommen und sogar noch schneller als das Bruttoinlandsprodukt, handelt es sich um mehr als soziale Ungerechtigkeit. Es handelt sich wie beim Krebs um eine Art Selbstzerstörung. Denn das wuchernde Geldvermögen übersteigt nicht nur die Wirtschaftsleistung, sondern treibt die Spekulation voran und zersetzt die Realwirtschaft. „Im finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“, so schreibt etwa Elmar Altvater, „entstehen Eigentum und Wert nicht mehr wie in der `guten alten Zeit` durch Arbeit, sondern durch `Originierung`„. (Sozialismus 9/20011, S.7) Gemeint ist damit die Verbriefung finanzieller Forderung durch ein weltweit handelbares Wertpapier, dessen Preis durch Spekulation nach oben getrieben wird und sich deshalb von selbst vermehrt. „Das ist, als ob es den Alchimisten gelungen wäre, aus Dreck Gold zu gewinnen“, schreibt Altvater in der Schweizer Wochenzeitung vom 11. August. Geld produziert Geld, ohne dass dabei auch nur ein einziges nützliches Gut herauskommt. Das neue Geld entsteht durch Kurssteigerungen, Wetten auf Kursverluste oder die Spekulation mit Staatsanleihen. Auf diese Weise konnte sich das private Geldvermögen in der Bundesrepublik seit 1991 verdreifachen, obwohl die Wirtschaft im gleichen Zeitraum nur um 57 Prozent gestiegen ist. (isw-info vom 17.1.2011) Selbst die Finanzkrise konnte die Explosion der privaten Geldvermögen nicht aufhalten, weil die unumgänglichen Wertverluste durch staatliche Bankenrettung gebremst wurden. Im vergangenen Jahr erreichte das private Geldvermögen in der BRD wieder die Traummarke von knapp 5.000 Milliarden Euro und war damit mehr als dreimal so hoch wie die Leistung aller Wirtschaftsbereiche. Ende 2010 hatten die Geldbesitzer 154 Milliarden Euro mehr auf dem Konto als im Vorjahr. Das sind 23 Milliarden mehr, als in diesem Jahr im Sozialetat des Bundes stehen.
Diese ebenso wundersame, wie für die Realwirtschaft tödliche Form der Geldvermehrung, wurde durch eine Politik ermöglicht, die sich auf drei Faktoren stützt: Erstens auf Lohndumping, zweitens auf die Deregulierung der Finanzmärkte und drittens auf die Ersetzung des guten alten Börsengeschäfts durch den Computerhandel. Kein anderes OECD-Land war beim Lohndumping der letzten beiden Jahrzehnte so erfolgreich wie Deutschland, was das Land nicht nur zum Exportweltmeister von Waren machte, sondern auch zum Globalplayer auf den Finanzmärkten. Und um diesen globalen Raubzug zu erleichtern, hat vor allem die Regierung Schröder kräftig zur Deregulierung der Märkte beigetragen. Was den Computerhandel betrifft, so wickelt die Deutsche Börse inzwischen 40 Prozent ihrer Geschäfte über schnelle Rechner ab, die im Takt von Millisekunden kaufen und wieder verkaufen. Es sind keine raffgierigen Investmentbanker mehr, die aus der Addition minimaler Schwankungen maximale Gewinne machen, sondern leidenschaftslose Computerprogramme.
In relativ kurzer Zeit hat die LINKE ihre Alleinvertretung für die Forderung nach Regulierung der Finanzmärkte, der Erhebung einer Finanztransaktionssteuer und des Verbots riskanter Finanzgeschäfte verloren. Die früher hochgelobte „Finanzindustrie“ nennen inzwischen selbst ehemalige Neoliberale ein Monster und Josef Ackermann denkt darüber nach, ob die Deutsche Bank noch ihrer ursprünglichen Aufgabe „als Dienstleister der realen Wirtschaft“ gerecht wird. (Financial Times Deutschland vom 6.9.11) Nur an die eigentlichen Ursachen der Krise will kaum jemand ran. Sieht man einmal von einigen Ökonomen und den Gewerkschaften ab, dann beschränkt sich das plötzliche Umdenken auf die Regulierung der Märkte, auf das Verbot bestimmter Finanztransaktionen und auf eine stärkere Kontrolle der Banken. Der eigentlichen Frage wird ausgewichen, nämlich der sich heute, im 21. Jahrhundert stellenden Eigentumsfrage. Wobei es nicht mehr in erster Linie um das Eigentum an den Produktionsmitteln geht, und weniger auch um das Eigentum an den Banken, sondern um das Eigentum an den großen Geldvermögen. Wer den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts bändigen will, muss ihm das überakkumulierte Geldkapital entziehen.
Alle momentan in der Diskussion befindlichen Maßnahmen, ob es um Marktregulierung oder um Euro-Bonds geht, die der Spekulation mit Staatsanleihen Grenzen setzen sollen, kann man getrost als unverzichtbar bezeichnen. Doch das eigentliche Problem ist das gewaltig aufgeblähte, nur fiktiv existierende Geldkapital. Die von ihm ausgehenden Forderungen an die Realwirtschaft oder an die verschuldeten Staaten werden durch all diese Maßnahmen nicht entwertet. Das überakkumulierte Geldvermögen drückt wie ein Alb auf die reale Wirtschaft, weil die ungeheure Masse seiner Forderungen unerfüllbar ist und die Volkswirtschaften ebenso auszehrt wie die verschuldeten Staaten. Die Spekulation wird sich neue Wege suchen, die Staatsschulden werden den Resten des Sozialstaates den Garaus machen und der Druck auf den Faktor Arbeit wird eben so wenig abnehmen, wie der Versuch, die Gratiskräfte der Natur auszubeuten.
Letztlich bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Geldblase platzen lassen oder zumindest Teile davon in die Realwirtschaft zurückführen. Wobei die zweite Möglichkeit die harmlosere Alternative sein dürfte, denn ein Platzen der Geldblase würde die Reichen weniger reich, aber die Armen noch ärmer machen. Immerhin platzen mit der Geldblase nicht nur Milliardenvermögen, sondern auch kleine Spareinlagen und Rentenansprüche. Was bleibt ist ein Mix aus radikaler Umverteilung und gezielter Entwertung. Eine Strategie bei der kleine Sparvermögen oder Lebensversicherungen verschont bleiben und die großen Geldvermögen durch Steuern und Wertberichtigungen abgeschmolzen werden, um sie in die Realwirtschaft umzuleiten. Der Weg dahin ist nicht nur deshalb schwierig, weil er auf den Widerstand der Vermögenden trifft, sondern auch den Damm der Dummheit überwinden muss, den das neoliberale Denken errichtet hat.
Harald Werner, 6. September 2011