Ungleiche Bildungschancen verfestigen soziale Benachteiligungen aber die gesellschaftliche Ungleichheit entsteht nicht im Bildungssystem, sondern durch die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung. Auch das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den benachteiligten und den privilegierten Gruppen der Gesellschaft ist nicht durch das Bildungssystem bestimmt, sondern durch das unterschiedliche Wachstum von Arbeits- und Kapitaleinkommen. Dennoch gibt viele gute Gründe, für die Beseitigung von Bildungsnachteilen zu kämpfen, aber es gibt auch gewichtige Argumente, sich davon nicht zu viel zu versprechen und es gibt noch mehr Gründe, die mit der Bildungsdebatte verbundene Ideologie zu kritisieren. Gemeint ist die Angebotstheorie, die allen Wohlstand und Wachstum verspricht, die sich marktgerecht anbieten. Und dazu gehört eben auch eine marktgerechte Bildung.
Die Angebotstheorie behauptet bekanntlich, dass Armut und Arbeitslosigkeit nur beseitigt werden können, wenn sowohl das Kapital, als auch die Arbeitskraft ermuntert werden ihr Angebot zu verbessern. Dem Kapital durch die Aussicht auf eine höhere Rendite und der Arbeitskraft durch die Beseitigung der „sozialen Hängematte“ und die Aussicht auf sozialen Aufstieg. Natürlich ist diese Theorie in der Praxis äußerst zynisch, weil zum Beispiel dem Kapital zur Verbesserung seines Angebots die Steuern und die Lohnkosten gesenkt werden, während die Arbeitskraft sowohl auf Arbeitslosengeld, als auch Lohn verzichten soll. Die Angebotstheorie unterstellt also, dass die Arbeit eine umso größere Chance hat, je nützlicher sie für das Kapital ist. Die Arbeitskraft ist natürlich auch umso nützlicher, je qualifizierter sie ist. Deshalb passt es ins Konzept der Arbeitgeberverbände, über Bildungsdefizite zu klagen und nicht nur niedrige Löhne, sondern auch mehr Qualifikation zu verlangen. In beiden Fällen geht es um die Steigerung des Mehrwerts.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber nicht nur, dass die Angebotstheorie ausschließlich den Interessen des Kapitals entgegenkommt, weil sie in erster Linie der Erhöhung des Mehrwerst und damit der Ausbeutungsrate nutzt. Entscheidender ist der logische Fehler dieser Theorie. Sie behauptet nämlich, dass Wachstumsschwäche, Arbeitslosigkeit und auch Armut ein Angebotsproblem sind, weshalb zum Beispiel unterstellt wird, dass mehr Bildung sowohl Arbeitslosigkeit als auch Armut überwinden helfen. Dem Augenschein nach ist das auch plausibel, weil die schlechter gebildeten Arbeitskräfte als erste entlassen und als letzte wieder eingestellt werden. In Wahrheit erhöht sich die Zahl der benötigten Arbeitskräfte aber überhaupt nicht, wenn die Entlassenen oder Arbeitslosen eine bessere Bildung haben, sondern ausschließlich durch die Erhöhung der zahlungsfähigen Nachfrage. Wenn 3,5 Millionen Menschen keine Arbeit finden, weil selbst eine steigende Produktion nicht mehr Arbeitskräfte benötigt, dann liegt das nicht an der mangelnden Qualifikation der Arbeitskräfte, sondern an der mangelhaften Arbeitsnachfrage.
Allerdings hat auch die Linke gute Gründe, das Angebotsproblem ernst zu nehmen. Wenn die Angebotstheoretiker ausschließlich auf die Verbesserung des Angebots zu pochen, darf die Linke nicht den entgegengesetzten Fehler machen und allein auf die Nachfrage setzen. Erstens gibt es zwar keine ausreichende Arbeitsnachfrage aber es gibt welche und die kann zu einem großen Teil nicht gedeckt werden, weil es an Qualifikation mangelt. Je schlechter der Bildungsstand einer Gesellschaft, desto unflexibler ihre Arbeitslosen und umso größer die Zahl der dauerhaft Chancenlosen. Bessere Bildung vermeidet keine Arbeitslosigkeit aber sie kann die Dauer für die Betroffenen verkürzen, ihr Selbstbewusstsein steigern und das Wachstum der Armutsbevölkerung bremsen. Gleichzeitig ist Bildung mehr, als nur Qualifikation. Sie ist nicht nur eine Voraussetzung, um seine Arbeitskraft besser verkaufen zu können, sondern auch die Verhältnisse zu verändern, in denen die Arbeitskraft nicht mehr als eine Ware ist.
Harald Werner 3. Dezember 07